Wann ist ein Gehalt sittenwidrig?
Eine Vergütung ist sittenwidrig, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt. Das ist nach BAG-Rechtsprechung der Fall, wenn das Gehalt eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin weniger als zwei Drittel eines in dem Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tarifentgelts beträgt. Wenn in dem Gebiet keine überwiegende tarifliche Gebundenheit besteht, kommt es auf die verkehrsübliche Vergütung an. Vorliegend hatte das LAG Mecklenburg-Vorpommern über die die Sittenwidrigkeit des Lohns einer Packerin in einer Brauerei zu entscheiden.
Der Fall: Arbeitnehmerin fordert Differenz zum branchenüblichen Tariflohn
Die Arbeitnehmerin ist Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Als Verpackerin ist sie seit 2007 in einer nicht tarifgebundenen Brauerei beschäftigt. Ihre Tätigkeit besteht insbesondere darin, die Getränke auf Paletten zu stapeln, die Paletten in Folie einzuwickeln und für den Abtransport bereitzustellen. Der Arbeitgeber zahlte ihr 2020 einen Stundenlohn von 10,10 Euro plus eine Zulage von 0,25 Euro je Stunde aufgrund ihrer Beschäftigungszeit von zehn Jahren. Hinzu kommen Weihnachtsgeld und Nachtarbeits-Zuschläge in Höhe von 25 Prozent. Der Mindestlohn belief sich im Jahr 2020 auf 9,35 Euro je Zeitstunde.
Tariflohn als ortsübliche Vergütung?
Nachdem im Herbst 2020 mit Streiks eine tarifliche Entlohnung der Beschäftigten in der Brauerei erreicht werden sollten, was aber scheiterte, verlangte die Arbeitnehmerin für die Monate Oktober bis Dezember 2020 eine Gehaltsnachzahlung in Höhe von 1.418,77 Euro. Dies begründete sie mit dem Hinweis auf den Tarifvertrag für Brauereien in Mecklenburg-Vorpommern. Dieser sieht für die Tätigkeit der Packerin ein monatliches Gehalt von 3.166,07 Euro vor. Die ihr gezahlte Vergütung sei sittenwidrig, da sie gerade einmal 55,18 Prozent des tariflich vorgesehenen Entgeltes betrage. Nach ihrer Auffassung müsse dieser Tariflohn als ortsübliche Vergütung gelten, da mehr als 60 Prozent der Beschäftigten der Region tarifgebunden seien. Der Arbeitgeber weigerte sich und verwies auf das im Umkreis von 30 km maßgebliche Vergütungsniveau.
LAG: Geringere Vergütung ist nicht sittenwidrig
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern gab dem Arbeitgeber recht und entschied, dass die Mitarbeiterin keinen Anspruch auf Zahlung der Differenz zum Tariflohn hat. Die ihr gezahlte Vergütung sei nicht sittenwidrig gering. Weder bestehe ein auffälliges Missverhältnis zwischen der gezahlten Vergütung und dem Wert der Arbeitsleistung, noch habe der Arbeitgeber eine verwerfliche Gesinnung gezeigt, da er sich an der regional üblichen Vergütung orientiert habe.
Kein Anspruch auf Zahlung der üblichen Tarifvergütung
In der Begründung stellte das Gericht unter Hinweis auf die BAG-Rechtsprechung fest, dass ein auffälliges Missverhältnis dann vorliegt, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in dem Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tarifentgelts beträgt. Ebenso, wenn - bei fehlender Maßgeblichkeit der Tarifentgelte - die vereinbarte Vergütung mehr als ein Drittel unter dem Lohnniveau bleibt, das sich für die auszuübende Tätigkeit in der Wirtschaftsregion gebildet hat. Üblich sei eine Tarifvergütung dann, wenn mehr als 50 Prozent der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebiets tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmenden eines Wirtschaftsgebiets beschäftigen. Diese Voraussetzungen lagen nicht vor.
Kein auffälliges Missverhältnis von Lohn und Leistung
Das Gericht stellte fest, dass eine überwiegende tarifliche Gebundenheit dort, wo die Arbeitnehmerin beschäftigt sei, nicht gegeben sei, da nur 23 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden seien. Ohne eine übliche Tarifgebundenheit bei Brauereien in Mecklenburg-Vorpommern war für die Beurteilung nicht der Tariflohn, sondern die verkehrsübliche Vergütung entscheidend. Das Gericht verwies darauf, dass der durchschnittliche Stundenlohn für Ungelernte im Jahr 2020 in Mecklenburg-Vorpommern üblicherweise rund 12 Euro betragen habe. Die Vergütung der Arbeitnehmerin falle damit nicht um mehr als ein Drittel geringer aus als der objektive Wert ihrer ausgeübten Arbeitsleistung im Wirtschaftsgebiet.
Auch Mindestlohn als Anhaltspunkt
Der objektive Wert einer bestimmten Arbeitsleistung sei nie deutschlandweit derselbe, sondern müsse sich immer auch nach den regionalen Lebensumständen, die durch die allgemeinen Lebenshaltungskosten und das Einkommensniveau geprägt werden, richten. In der konkreten Region Mecklenburg-Vorpommern sei die übliche Vergütung geringer als in manch anderen Bundesländern, so das Gericht. Jedoch bestimme der jeweils geltende Mindestlohn ergänzend hierzu den objektiven Mindestwert einer Arbeitsleistung.
Das Verfahren ist mittlerweile beim BAG anhängig.
Hinweis: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26. Juli 2022, Az: 5 Sa 284/21; Vorinstanz: ArbG Stralsund, Urteil vom 17. November 2021, Az: 11 Ca 38/21
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