Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifgeltung bei Betriebsübergang. Auslegung einer Bezugnahmeklausel. Anwendbarkeit des Umsetzungs-Tarifvertrages der Vivento Customer Services GmbH
Leitsatz (amtlich)
Die vertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrages führt zu dessen einzelvertraglicher Geltung, an der sich durch einen Betriebsübergang wegen § 613 Absatz 1 Satz 1 BGB nichts ändert. Ein beim Betriebserwerber geltender Tarifvertrag steht der vertraglichen Weitergeltung nicht entgegen. Dies gilt auch, wenn kein Branchenwechsel vorliegt (insoweit Fortführung von BAG vom 17.11.2010, 4 AZR 391/09).
Normenkette
BGB §§ 611, 313
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Urteil vom 04.08.2010; Aktenzeichen 2 Ca 1398/09) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 04.08.2010 – 2 Ca 1398/09 – wie folgt abgeändert:
- Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin auf dem für sie geführten Arbeitszeitkonto 140 Stunden gutzuschreiben.
- Es wird festgestellt, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 34 Wochenstunden beträgt.
- Es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin die Bestimmungen der Tarifverträge der Deutschen Telekom AG, Stand 01.09.2007, Anwendung finden.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 95 Prozent, die Klägerin zu 5 Prozent.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
In dem unstreitigen Tatbestand des Arbeitsgerichts Schwerin heißt es zum Sachverhalt unter anderem wie folgt:
Die Parteien streiten im Wesentlichen darum, welche arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen das Arbeitsverhältnis bestimmen und um daraus resultierende Ansprüche. Die Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft v.. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden.
Die Klägerin war vor ihrer Beschäftigung bei der Beklagten, für die sie zuletzt bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden 2.894,47 EUR brutto erhielt, bei der Vxxx Cxxx Sxxx GmbH (vormals: Vxxx Cxxx Sxxx GmbH & Co. KG – fortan: VCS), einer 100prozentigen Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom AG (fortan: DTAG) bzw. deren Rechtsvorgängerin, der Deutschen Bundespost Telekom und der Deutschen Post beschäftigt.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien geht letztlich zurück auf die Arbeitsverträge vom 16.04.1991 und 29.11.1991; weitere schriftliche Arbeitsverträge wurden nicht geschlossen. In dem zwischen der Klägerin und der Deutschen Bundespost Telekom geschlossenen Arbeitsvertrag vom 19.11.1991 heißt es, soweit vorliegend von Interesse:
„Für das Arbeitsverhältnis gelten
- der Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang-O) und die sonstigen Tarifverträge für die Angestellten der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet oder
- der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb-O) und die sonstigen Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet
in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart. Die Zuordnung zum Geltungsbereich des TV Ang-O oder dem des TV Arb-O ergibt sich in Anwendung des § 1 TV Ang-O bzw. des § 1 TV Arb-O aus der jeweils ausgeübten Tätigkeit.”
Infolge der Privatisierung der Deutschen Bundespost wurde die Klägerin Arbeitnehmerin der im Zuge der zweiten Postreform 1995 gegründeten DTAG, der Rechtsnachfolgerin der Deutschen Bundespost Telekom. Entsprechend wandten die Vertragsparteien die Tarifverträge der Deutschen Bundespost Telekom in ihrer jeweiligen Fassung bzw. die Tarifverträge der DTAG in ihrer jeweiligen Fassung auf das Arbeitsverhältnis an.
Mit Wirkung zum 01.09.2007 erfolgte ein Betriebsteilübergang auf die VCS… Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin bei der Telekom Kundenniederlassung Spezial beschäftigt… Die VCS – eine Volltarifierung der VCS liegt nicht vor – hat mit dem ständigen Tarifpartner des Konzerns Deutsche Telekom, der Gewerkschaft v., mit Wirkung vom 01.03.2004 einen Umsetzungs-Tarifvertrag für V. C. S. GmbH & Co. KG (fortan: UTV) geschlossen…
Während für die Klägerin zum Zeitpunkt des Betriebsteilübergangs auf die VCS eine wöchentliche Arbeitszeit von 34 Stunden galt, beträgt die zwischen v. und der VCS vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit 38 Stunden bei gleichzeitiger Absenkung der Vergütung auf 91,25 % zzgl. 2,5 % (93,75 %)…
Knapp 1 1/2 Jahre später erfolgte ein weiterer Betriebsübergang auf die „xxx sxxx Exxx GmbH”.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, auf ihr Arbeitsverhältnis seien auf Grund der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel die vor dem Betriebsübergang auf die VCS maßgeblichen Tarifverträge der DTAG (Tarifstand 01.09.2007) anzuwenden…
Im Hinblick auf somit wöchentlich zuviel geleisteter vier Mehrarbeitsstunden (34/38 Arbeitsstunden) sei die Beklagte nach vorangegangener erfolgloser Geltendmachung verpflichtet, ihrem Arbeitszeitkonto rückwirkend für den Zeitraum von sechs Monaten ab dem 01.10.2008 bis zum 30.04.2009 140 Stunden gutzuschreiben und Mehrarbeitszuschlag für 35 Stu...