Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Raum für Betriebsvereinbarungen bei tarifvertraglicher Regelung. Öffnungsklauseln in Tarifvertrag. Abschließende Regelung der Arbeitszeit im Manteltarifvertrag der Milchindustrie e.V.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. In einem Tarifvertrag geregelte Arbeitsentgelte und Bedingungen können nicht Gegenstand einer mitbestimmungspflichtigen Betriebsvereinbarung sein, es sei denn, es sind entsprechende Öffnungsklauseln vorgesehen.

2. Mit der Formulierung "Arbeitszeitregelung" in § 4 Ziffer 2 MTV Milchindustrieverband e.V. besteht kein Spielraum mehr - auch nicht im Wege der Auslegung - zur Regelung von Zuschlagspflichtigkeit von Mehrarbeitsstunden.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 3; BGB § 139; MTV Milchindustrieverband e.V. § 4 Nr. 2, § 7 Nr. 1a, § 6 Nr. 2 S. 1; GG Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Schwerin (Entscheidung vom 23.07.2020; Aktenzeichen 6 Ca 1783/19)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 23.07.2020 - 6 Ca 1783/19 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 155,23 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision gegen diese Entscheidung wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die korrekte Art der Berechnung der Höhe von Zuschlägen für Mehrarbeit auf der Grundlage des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Milchbetrieben des Milchindustrieverbandes e. V. für die Zeit vom 01.01.2019 bis zum 31.12.2019 (künftig: MTV). Die Parteien sind tarifgebunden.

§ 7 MTV sieht einen Zuschlag von 25 % für jede Mehrarbeitsstunde vor.

Gemäß § 6 MTV ist Mehrarbeit "die über die regelmäßig vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit".

Gemäß § 4 Ziff. 1 MTV besteht "eine regelmäßige tarifliche Wochenarbeitszeit von 40 Stunden".

In § 4 Ziff. 2 MTV heißt wie folgt:

"Die Arbeitszeitregelung wird im Einzelnen unter Berücksichtigung des Arbeitszeitgesetzes durch eine Betriebsvereinbarung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat festgelegt."

Zudem besteht bei der Beklagten eine "Betriebsvereinbarung zur Einführung der flexiblen/variablen Arbeitszeit mittels Arbeitszeitkonten", welche in Ziff. 5 wie folgt lautet:

"Mehrarbeitsstunden sind bis zur Höhe von 120 Stunden, Minusstunden bis zur Höhe von 30 Stunden zulässig. Der Ausgleichszeitraum zur Erreichung der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit im Durchschnitt beträgt sechs Monate. Der Ausgleichszeitraum ist nicht an das Kalenderjahr gebunden. Der Ausgleichszeitraum beginnt jeweils mit dem Monat, in dem die Überstunden anfallen und endet nach Ablauf der folgenden fünf Monate. Zeitguthaben werden im folgenden sechsten Monat ausgezahlt. Die finanzielle Abgeltung der Mehrstunden ist grundsätzlich zu vermeiden. Besteht am Ende des Ausgleichszeitraumes ein Zeitguthaben, wird es mit 25 % bezuschlagt."

Die Beklagte hat jeweils die monatlich geleistete Arbeitszeit im Arbeitszeitkonto erfasst und hat - soweit nach Ablauf des Ausgleichszeitraums im Sinne von Ziff. 5 der BV noch Mehrarbeit festgestellt worden ist - die Stunden mit dem entsprechenden Zuschlag von 25 % abgerechnet und für das Jahr 2019 an den Kläger insgesamt 243,02 € brutto ausgezahlt.

Mit seiner am 18.12.2019 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht der Kläger die Zahlung eines weiteren Betrages in Höhe von 155,23 € brutto gegen die Beklagte geltend, da nach seiner Auffassung die Berechnung der Mehrarbeitszuschläge nach Ziff. 5 der BV im Vergleich zu einer Berechnung der Mehrarbeitszuschläge auf tariflicher Grundlage einer Verschlechterung mit dem Ergebnis des geltend gemachten Differenzbetrages bedeute.

Mit Urteil vom 23.07.2020 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, die Betriebsvereinbarung verstoße auch im Hinblick auf die in Ziff. 5 festgelegten Grundlagen zur Berechnung der Zulagen für geleistete Mehrarbeit nicht gegen § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG. § 4 Ziff. 2 MTV beinhalte eine Öffnungsklausel, die sich auch auf die Festlegungen in Ziff. 5 BV erstrecke.

Gegen diese am 28.08.2020 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 25.09.2020 bei dem LAG M-V eingegangene Berufung des Klägers nebst der - nach entsprechender gerichtlicher Fristverlängerung - am 24.11.2020 eingegangenen Berufungsbegründung.

Der Kläger ist der Auffassung, die Berechnungsgrundlage in Ziff. 5 BV sei tarifwidrig. Nach Tarifvertrag sei die Beklagte verpflichtet, über die wöchentliche Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeitsstunden mit dem Zuschlag von 25 % zu vergüten. Die Zahlung des Zuschlages nach Ablauf des Ausgleichszeitraumes auf der Grundlage der BV sei mit den tariflichen Regelungen nicht vereinbar. Jedenfalls beinhalte die Betriebsvereinbarung eine Schlechterstellung gegenüber der tariflichen Regelung und verstoße somit gegen das Günstigkeitsprinzip. Unter Berücksichtigung der wöchentlich durch den Kläger im Jahr 2019 geleisteten Mehrarbeitsstunden ver...

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