Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtswirksamkeit einer Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Prüfung der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anhand vergleichbarem Arbeitnehmer. Wirksamkeit einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
Leitsatz (amtlich)
Fristlos kann im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 S. 1 und S. 2 KSchG i. V. m. § 626 BGB nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren Arbeitnehmer ohne besonderen Kündigungsschutz dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 15 Abs. 1; BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 02.12.2020; Aktenzeichen 4 Ca 733/20) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 02.12.2020 - 4 Ca 733/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision gegen diese Entscheidung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen und personenbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist.
Der im Jahr 1971 geborene, ledige und keinen Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 03.11.2003 bei der Beklagten zuletzt als Maschinenbediener in einem Vollzeitarbeitsverhältnis zu einem Bruttoarbeitsentgelt von 3.370,13 € beschäftigt. Die Beklagte stellt industrielle Backwaren her.
Der Kläger ist Ersatzmitglied in dem bei der Beklagten gebildeten Betriebsrat. Aufgrund eines Verhinderungsfalles hat er am 30.04.2020 an einer Betriebsratssitzung teilgenommen.
Mit Schreiben vom 11.05.2020 hat die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers mit sozialer Auslauffrist zum 30.11.2020 aus personenbedingten/krankheitsbedingten Gründen angehört (Bl. 73, 75 - 78 d. A.). Mit Schreiben vom 14.05.2020 (Bl. 74 d. A.) hat der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung widersprochen. Mit Schreiben vom 19.05.2020, dem Kläger zugegangen am 21.05.2020, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist zum 30.11.2020 gekündigt.
Die Beklagte stützt die ausgesprochene fristlose Kündigung auf krankheitsbedingte Fehlzeiten des Klägers in dem Zeitraum von 2016 bis zum Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung am 21.05.2020. Dem liegen folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten des Klägers zugrunde:
- 2016: 164 Arbeitstage (entgeltfortzahlungsbelastet 72 Arbeitstage);
- 2017: 83 Arbeitstage (alle entgeltfortzahlungsbelastet);
- 2018: 68 Arbeitstage (alle entgeltfortzahlungsbelastet);
- 2019: 74 Arbeitstage (alle entgeltfortzahlungsbelastet);
- 2020: 14 Arbeitstage (alle entgeltfortzahlungsbelastet);
Bezüglich der vorgenannten krankheitsbedingten Fehlzeiten hat die Beklagte in dem Zeitraum von 2016 bis zum 21.05.2020 insgesamt 61.408,36 € an Entgeltfortzahlungskosten inklusive Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung gezahlt (ohne Arbeitgeberanteil 49.126,69 €).
Mit den Schreiben vom 13.07.2018, vom 24.05.2019 und vom 16.01.2020 hat die Beklagte den Kläger jeweils zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement eingeladen. Im Jahr 2019 ist am 20.06.2019 ein Eingliederungsmanagementverfahren durchgeführt worden, welches ohne Ergebnis geblieben ist. Mit den Schreiben vom 17.07.2018 und vom 24.01.2020 hat der Kläger das jeweils angebotene Eingliederungsmanagementverfahren abgelehnt.
Bei der Beklagten finden die nächsten regelmäßigen Betriebsratswahlen in der Zeit zwischen dem 01.03.2022 und dem 31.05.2022 statt.
Mit der am 02.06.2020 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die ihm gegenüber ausgesprochene fristlose Kündigung.
Mit Urteil vom 02.12.2020 hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben und im Wesentlichen ausgeführt, es fehle an einem wichtigen Grund für die fristlose Kündigung im Sinne von § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG i. V. m. § 626 Abs. 1 BGB. Zwar sei eine krankheitsbedingte Leistungsminderung nicht generell ungeeignet, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Erforderlich sei ein derart gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, dass dem Arbeitgeber ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar sei. Diese Voraussetzung sei vorliegend nicht erfüllt. In diesem Zusammenhang dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger gemäß § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG lediglich über einen temporären Sonderkündigungsschutz verfüge. Schließlich scheitere die Rechtswirksamkeit der Kündigung an der Frist des § 626 Abs. 2 BGB.
Gegen diese am 23.12.2020 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 11.01.2021 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung der Beklagten nebst der am 03.02.2021 eingegangenen Berufungsbegründung.
Die Beklagte hält an ihrer erstinstanzlichen Rechtsauffassung fest. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts liege im vorliegenden Fall ein wichtiger Grund zur Beendigung des Beschäftigung...