Entscheidungsstichwort (Thema)
Versetzung. Schule. Lehrer. Lehrkraft. billiges Ermessen. ultima ratio. Schulrat. Bezirkspersonalrat. Versetzung einer Lehrkraft an einer staatlichen Schule innerhalb des Schulamts (Mecklenburg-Vorpommern). Versetzung einer Gymnasiallehrerin an ortsferne Gesamtschule aus personalwirtschaftlichen Gründen. Beteiligung des Bezirkspersonalrats bei Versetzungsverfügung des Schulrats
Leitsatz (amtlich)
1. Die Neubestimmung des Arbeitsorts im Wege des Weisungsrechts und unter Berücksichtigung von § 106 GewO verlangt die Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (BAG 17. August 2011 - 10 AZR 202/10 - DB 2012, 118; BAG 13. April 2010 - 9 AZR 36/09 - AP Nr. 45 zu § 307 BGB = DB 2010, 2805-2806; BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 404/08 - EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 18).
2. Erfolgt die Versetzung einer Lehrkraft, um einen Bedarf nach Lehrerarbeitskraft an einer anderen Schule zu decken, ist darin ein ausreichender dienstlicher Anlass zu sehen. Kommen für die Versetzung mehrere Kollegen in Betracht, erstreckt sich der Maßstab des billigen Ermessens auch auf die Auswahlentscheidung. Da es aber lediglich um die Ausübung eines billigen Ermessens geht, kann es vorkommen, dass es mehrere Optionen gibt, die alle dem gesetzlichen Maßstab genügen. Für die Entscheidung ist es unerheblich, von welchen Motiven das Handeln der Personen geleitet war, die die Versetzungsentscheidung getroffen haben. Maßgeblich sind allein die objektiven Verhältnisse (BAG 14. Oktober 2008 - 9 AZR 511/07 - AP Nr. 41 zu § 1 Altersteilzeit = DB 2009, 2159 = ZTR 2009, 306; LAG Mecklenburg-Vorpommern 08.03.2011 - 5 Sa 269/10 - und LAG Mecklenburg-Vorpommern 01.03.2011 - 5 Sa 257/10). Das bedeutet, es kommt nur auf die Gesichtspunkte an, die für und wider die streitige Maßnahmen sprechen, und auf deren spezifisches Gewicht. Unerheblich ist dagegen, wer diese Gesichtspunkte zu welchem Zeitpunkt erstmals als entscheidungsrelevant erkannt oder gar ausgesprochen hat. Auch Gesichtspunkte, auf die sich eine der Parteien erstmals im Rechtsstreit beruft, sind daher bei der Entscheidung des Gerichts zu berücksichtigen.
3. Wird die Versetzungsmaßnahme vom Schulrat verfügt, muss der Bezirkspersonalrat beteiligt werden (§ 73 Absatz 2 LPersVG MV). § 73 Absatz 1 LPersVG kann nicht angewendet werden, da die Versetzung nicht vom Schulleiter an der bisherigen Schule der Klägerin verfügt wurde. Soweit der Bezirkspersonalrat der Lehrer zuständig ist, ist er bei seiner Entscheidung nicht an Willensbekundungen des örtlichen Personalrats gebunden. Vielmehr hat er eine eigene Kompetenz im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenstellung die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Maßnahme selbst zu beurteilen.
Normenkette
LPersVG MV § 68; LPersVG MV § 73; GewO § 106; BGB § 315; TV-L § 4; BGB § 611 Abs. 1; LPersVG MV § 68 Abs. 1 Nr. 9; LPersVG MV § 73 Abs. 2; TV-L § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Neubrandenburg (Entscheidung vom 20.01.2010; Aktenzeichen 2 Ca 892/09) |
Tenor
1. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Versetzung.
Die Klägerin arbeitet als Lehrerin an einem Gymnasium in W.. Sie besitzt die Lehrbefähigung für die Fächer Geographie und Sport. Zusätzlich wird sie eingesetzt im Fach Arbeit-Wirtschaft-Technik (AWT) und hat dort aufgrund des tatsächlichen Einsatzes inzwischen die Fachlichkeit im Sinne des Lehrerpersonalkonzepts erworben. Die Klägerin steht seit 1985 im staatlichen Schuldienst. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist mit Landesgründung im Oktober 1990 entstanden. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst - Länder (TV-L) kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme Anwendung.
Durch die 2006 erfolgte Einführung der schulartunabhängigen Orientierungsstufe in den Jahrgangsstufen 5 und 6, die an den regionalen Schulen und den Gesamtschulen gebildet werden, und durch die Rückkehr zum Abitur nach Abschluss der 12. Klasse sieht sich das beklagte Land gezwungen, durch personalwirtschaftliche Maßnahmen Lehrkräfte in den Gymnasien abzubauen und sie an anderen Schulen mit erhöhtem Lehrbedarf einzusetzen. In diesem Zusammenhang ist es zu der hier streitigen Maßnahme gekommen.
Nach den Daten, die das beklagte Land seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat, musste im Vorlauf zum Schu...