Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall der Arbeitspflicht bei rechtmäßig angeordneter Kurzarbeit. Angebot der Arbeitsleistung als Voraussetzung für den Annahmeverzug bei unwirksamer Anordnung von Kurzarbeit. Eindeutige Befreiung von der Arbeitspflicht als Voraussetzung der Erfüllung des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers. Unzulässigkeit eines Beweisantritts als Ausforschungsbeweis. Grundsatz der freien Beweiswürdigung im Zivilprozess
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer gegenüber dem Arbeitnehmer rechtmäßig und wirksam angeordneten Kurzarbeit entfällt die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ganz bzw. teilweise, je nachdem, welche konkrete Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber getroffen ist. Annahmeverzug tritt insoweit nicht ein. Der Arbeitnehmer erhält für die ausgefallene Arbeitszeit den Lohnanspruch in Höhe des Kurzarbeitergeldes (BAG, Urteil vom 22.04.2009 - 5 AZR 310/08 - Rn. 12, juris).
2. Ist eine Anordnung von Kurzarbeit unwirksam erfolgt, wird Annahmeverzug nicht begründet, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung weder tatsächlich noch wörtlich angebietet, er der Arbeit widerspruchslos fern bliebt. Der Arbeitnehmer muss, um Annahmeverzug zu bewirken, zumindest gegen die Anordnung der Kurzarbeit protestieren und damit seine Arbeitsleistung wörtlich anbieten (BAG, Urteil vom 18.11.2015 - 5 AZR 491/14 - Rn. 23, juris; BAG, Urteil vom 25.02.2015 - 5 AZR 886/12 - Rn. 42, juris).
3. Eine auf die Erfüllung des Urlaubsanspruchs gerichtete Erklärung der Arbeitgeberin ist nur dann geeignet, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer erkennen muss, dass die Arbeitgeberin ihn tatsächlich zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub von der Arbeitspflicht freistellen will. Andernfalls ist nicht feststellbar, ob die Arbeitgeberin als Schuldnerin des Urlaubsanspruchs eine Erfüllungshandlung bewirken (§ 362 Abs. 1 BGB) oder aus sonstigen Gründen als Gläubigerin der Arbeitsleistung auf deren Annahme gegebenenfalls mit den sich in § 615 BGB bezeichneten Folgen verzichten will. Notwendig ist die endgültige Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht (BAG, Urteil vom 10.02.2015 - 9 AZR 455/13 - Rn. 19, juris).
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird ein Beweis angetreten, bei dem es an der Bestimmtheit der zu beweisenden Tatsache fehlt und sollen durch die beabsichtigte Beweiserhebung erst die Grundlagen für substantiierte Tatsachenbehauptungen gewonnen werden, ist dieser Beweisantritt unzulässig und unbeachtlich. Eine Beweiserhebung aufgrund dieses unzulässigen Ausforschungsbeweisantritts hat zu unterbleiben.
2. Gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Der Richter darf und muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
Normenkette
BGB §§ 615, 611a, 293, 295, 294; BUrlG § 7 Abs. 4; BGB § 362; ZPO § 286; ArbGG §§ 67, 64 Abs. 6; ZPO § 373
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 24.08.2022; Aktenzeichen 3 Ca 93/22) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 24.08.2022 zum Aktenzeichen 3 Ca 92/22 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu formuliert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 636,96 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 15. Februar 2022 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt 3/4, die Beklagte trägt 1/4 der Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Vergütungsdifferenzen und Urlaubsabgeltung.
Der im Februar 1986 geborene Kläger war gemäß schriftlichen Arbeitsvertrags (Bl. 5 ff d.A.) ab dem 01.07.2021 bei der Beklagten in dem von ihr betriebenen Restaurant V. als Koch zu einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 2.300,00 €, fällig zum drittletzten Bankarbeitstag des Monats, beschäftigt. In § 2 des Arbeitsvertrages ist u.a. festgehalten:
"Der Arbeitgeber ist berechtigt, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen bei einem Arbeitsausfall aus wirtschaftlichen Gründen oder in Folge eines unabwendbaren Ereignisses oder von Strukturveränderungen Kurzarbeit anzuordnen.
Der Arbeitgeber ist ferner berechtigt, nach Maßgabe anderer gesetzlicher Bestimmungen eine vorübergehende Absenkung der Arbeitszeit anzuordnen.
In den beiden vorgenannten Fällen vermindert sich Arbeitszeit und Arbeitsentgelt des Beschäftigten entsprechend."
Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Kündigung der Beklagten (Anlage B 1, Bl. 22 d.A.) fristgemäß zum 15.02.2022.
Am 22.11.2021 hatte die Beklagte alle Mitarbeiter auf die Notwendigkeit von Kurzarbeit hingewiesen. Für die Monate Dezemb...