Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellungserklärung des Arbeitgebers als Voraussetzung einer wirksamen Urlaubnahme des Arbeitnehmers. Auslegung einer Willenserklärung. Annahmeverzug auch bei Entbehrlichkeit des Angebots der Arbeitsleistung. Neuberechnung der Urlaubstage bei Einführung von Kurzarbeit
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs bedarf es einer Freistellungserklärung des Arbeitgebers. Die Freistellungserklärung ist nur geeignet, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer erkennen muss, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub von der Arbeitspflicht freistellen will. Ein Einverständnis des Arbeitnehmers mit dem Bezug von Kurzarbeitergeld ersetzt regelmäßig nicht die vorherige Gewährung von Urlaub.
2. Der Arbeitgeber kommt in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Ein Angebot der Arbeitsleistung kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn offenkundig ist, dass der Arbeitgeber auf seiner Weigerung, die geschuldete Leistung anzunehmen, beharrt, insbesondere er durch einseitige Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit auf das Angebot der Arbeitsleistung verzichtet hat.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs erforderliche Erklärung des Arbeitgebers muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass der Arbeitnehmer zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs von der Arbeitspflicht befreit wird. Beginn und Ende des Urlaubs sind festzulegen.
2. Die Freistellungserklärung des Arbeitgebers ist als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung nach § 133 BGB aus der objektivierten Sicht des Empfängers auszulegen.
3. Aus der Einführung von Kurzarbeit ergibt sich eine neue, die vertragliche Arbeitspflicht des Arbeitnehmers bestimmende Verteilung der Arbeitszeit, die eine Neuberechnung der Urlaubstage nach sich zieht. Bei einer unterjährigen Änderung der Arbeitszeitregelung ist eine jahresbezogene Betrachtung anzustellen, die die Anzahl der in den einzelnen Zeitabschnitten vorgesehenen Arbeitstage berücksichtigt.
Normenkette
BUrlG §§ 3, 7; BGB §§ 133, 157, 362 Abs. 1, §§ 615, 296, 812 Abs. 1 S. 1, §§ 293-294, 611a Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Rostock (Entscheidung vom 31.08.2022; Aktenzeichen 4 Ca 1045/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 31.08.2022 - 4 Ca 1045/21 - unter Ziffer II abgeändert, soweit das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung eines über € 443,08 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.09.2021 hinausgehenden Betrages verurteilt hat. In Höhe des darüberhinausgehenden Betrags wird der entsprechende Klageantrag abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu 60 %, die Klägerin zu 40 % zu tragen. Die erstinstanzlichen Kosten hat die Beklagte zu 65 % zu tragen, die Klägerin zu 35 %.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch über die Abgeltung von Urlaub, insbesondere über die Erfüllung des Urlaubsanspruchs für das Jahr 2020.
Die 1984 geborene Klägerin nahm am 30.01.2006 bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Beschäftigung als Servicekraft im Restaurant auf. Das Arbeitsverhältnis ging in der Folgezeit auf die Beklagte über. Nach der letzten, ab 01.02.2016 gültigen Arbeitsvertragsänderung beträgt die regelmäßige Arbeitszeit 160 Stunden im Monat bei einer Vergütung von € 1.600,00 brutto monatlich. Es galt eine Fünf-Tage-Woche. Die Lage der Arbeitszeit ergab sich aus den jeweils monatlich erstellten Dienstplänen.
Der Klägerin steht der gesetzliche Mindesturlaub von 24 Werktagen zu. Die Gewährung von Urlaub wird von der Beklagten in der Lohnabrechnung ausgewiesen ebenso wie der Resturlaub. Im Jahr 2020 erhielt die Klägerin zumindest 12 Tage Erholungsurlaub; die Gewährung weiterer Urlaubstage ist zwischen den Parteien im Streit.
Am 31.10.2020 unterzeichnete die Klägerin auf einer von der Beklagten vorbereiteten Liste die folgende
"Einverständniserklärung
Hiermit erkläre ich mich für den Zeitraum, März 2020 bis zum Ende der Corona Virus Phase, bereit Kurzarbeitergeld zu beziehen.
[Unterschriftenliste] ..."
Diese Erklärung unterzeichneten insgesamt 24 Beschäftigte in der Zeit zwischen dem 29.10.2020 und dem 01.12.2020.
Am 02.11.2020 trat die Corona-Landesverordnung Mecklenburg-Vorpommern in der Fassung vom 31.10.2020 (im Folgenden nur: Corona-LVO) in Kraft, nach der Gaststätten für den Publikumsverkehr geschlossen, jedoch eine Belieferung, die Mitnahme und der Außer-Haus-Verkauf weiterhin zulässig sind (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 Corona-LVO). Der Betrieb nicht öffentlich zugänglicher Personalrestaurants, Kantinen und ähnlicher Betriebe blieb zulässig (§ 3 Abs. 3 Corona-LVO). Die Beklagte schloss das Restaurant ab dem 02.11.2020. Einen Dienstplan erhielt die Klägerin nicht mehr. Ab dem 01.12.2020 bezog sie Kurzarbeitergeld. In der Lohnabrechnung für den Monat November 2020 setzte die Beklagt...