Entscheidungsstichwort (Thema)

Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes während des Annahmeverzugs. Klage auf Differenzbetrag aus der Annahmeverzugsvergütung abzüglich anzurechnendem anderweitigem Verdienst. Vergleichsberechnung zwischen Annahmeverzugsvergütung und anderweitigem Verdienst. Auslegung des § 615 Satz 2 BGB. Dispositionsmaxime im Zivilprozess

 

Leitsatz (amtlich)

1. "Böswillig" unterlässt der Arbeitnehmer anderweitigen Verdienst, wenn er vorsätzlich ohne ausreichenden Grund Arbeit ablehnt (BAG, Urteil vom 22.03.2017 - 5 AZR 337/16 - Rn. 17 juris).

2. Die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 1 KSchG hindert bereits die Entstehung des Anspruchs aus § 615 Satz 1 BGB und führt nicht nur zu einer Aufrechnungslage. Hieraus folgt, dass eine Klage nur in Höhe des Differenzbetrages zwischen der Annahmeverzugsvergütung nach § 615 Satz 1 BGB und dem nach § 11 Nr. 1 KSchG anzurechnenden anderweitigen Verdienst schlüssig ist, wenn der Kläger selbst vorträgt, solchen erzielt zu haben (BAG, Urteil vom 02.10.2018 - 5 AZR 376/17 - Rn.29, juris).

3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Urteil vom 12.12.2006 - 1 AZR 96/06 - Rn. 33, juris) ist der anderweitige Verdienst, den ein Arbeitnehmer während des Anrechnungszeitraums erzielt, gemäß § 615 Satz 2 BGB nicht pro rata temporis, sondern auf die Gesamtvergütung für die Dauer des Annahmeverzugs anzurechnen.

4. Zum Zwecke der dafür erforderlichen Vergleichsberechnung (Gesamtberechnung) ist zunächst die Vergütung für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste zu ermitteln. Dieser Ge- samtvergütung ist gegenüberzustellen, was der Arbeitnehmer in der betreffenden Zeit anderweitig verdient hat (BAG, Urteil vom 24.02.2016 - 5 AZR 425/15 - Rn. 15, juris).

5. Die Auslegung der Regelung des § 615 Satz 2 BGB ergibt, dass § 615 Satz 2 BGB zur Feststellung der Höhe des Annahmeverzugslohns die Methode der Gesamtberechnung vorgibt.

6. Aufgrund der im Zivilprozess geltenden Dispositionsmaxime bestimmen die Parteien mit ihren Anträgen und Einwendungen den der Gesamtberechnung zu Grunde zu legenden Zeitraum.

7. Die Anrechnungsvorschriften sollen gewährleisten, dass der Arbeitnehmer aus dem Annahmeverzug keinen finanziellen Vorteil zieht. Er soll nicht mehr erhalten, als er bei normaler Abwicklung des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte; er soll nicht auf Kosten des Arbeitgebers einen Gewinn erzielen (BAG, Urteil vom 06.09.1990 - 2 AZR 165/90 - Rn. 43, juris), aber auch nicht schlechter gestellt werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Dispositionsmaxime besagt, dass es im Zivilprozess grundsätzlich die Angelegenheit der Parteien ist, das Verfahren einzuleiten, den Gegenstand zu verändern und das Verfahren zu beenden. Die Parteien besitzen die Herrschaft über den Zivilprozess. Sie bestimmen mit ihren Anträgen und Einwendungen den Gang des Verfahrens.

 

Normenkette

BGB § 615; KSchG § 11 Nr. 1; BGB §§ 242, 295-296; GG Art. 12 Abs. 1; SGB X § 115 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1; MTV Zeitarbeit § 13.3

 

Verfahrensgang

ArbG Stralsund (Entscheidung vom 02.12.2021; Aktenzeichen 14 Ca 299/20)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund - Kammern Neubrandenburg - vom 28.10.2021 zum Aktenzeichen: 14 Ca 299/20 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und zur Klarstellung wie folgt unter Ziffer 1 neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.100,00 € netto sowie 2.400,00 € brutto abzüglich 2.037,82 € brutto sowie abzüglich weiterer 3.012,60 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 462,18 € seit dem 16.11.2017, auf weitere 993,70 € seit dem 16.12.2017 und weitere 993,70 € seit dem 16.01.2018 zu zahlen.

2. Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund - Kammern Neubrandenburg - vom 28.10.2021 zum Aktenzeichen: 14 Ca 299/20 wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger trägt 20 %, die Beklagte trägt 80 % der Kosten des erstinstanzlichen und des Berufungsverfahrens.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Vergütung aus Annahmeverzug nach Ausspruch einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung.

Zwischen dem Kläger, der Beklagten und der Firma W.-T. E. S. H. L. S. ist ein einheitliches Arbeitsverhältnis begründet worden, welches für den im vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Zeitraum Oktober 2017 - Dezember 2017 ungekündigt fortbestand. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat mit Urteil vom 20.09.2019 rechtskräftig entschieden, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch eine Kündigung vom 30.12.2015, zugegangen am 04.03.2016, beendet worden ist. Aus diesem Arbeitsverhältnis haftet die Beklagte für sämtliche Vergütungsansprüche des Klägers, auch diejenigen gegen die Firma W.-T. E. S. H. L. S.. Die vereinbarte monatliche Vergütung beträgt 800,00 € brutto (Vereinbarung mit der Beklagten) sowie weitere 1.700,00 € netto (Vereinbarung mit der Firma W.-T. E. S. H. L. S.).

Vom 01.04.2017 - 15.10.2017 bestand ein A...

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