Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorstellungsgespräch mit dem schwerbehinderten Bewerber auch bei Zweifeln an seiner Eignung für die ausgeschriebene Stelle. Angemessene Entschädigung bei Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot
Leitsatz (amtlich)
1. Offensichtlich_ fachlich nicht geeignet ist, wer unzweifelhaft nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es nicht, von einer Einladung abzusehen, weil sich Zweifel im Vorstellungsgespräch ausräumen lassen können. Der schwerbehinderte Mensch soll nach § 82 Satz 2 SGB IX (jetzt § 165 Satz 3 SGB IX) die Chance haben, sich in einem Vorstellungsgespräch zu präsentieren und den öffentlichen Arbeitgeber von seiner Eignung zu überzeugen.
2. Eine Entschädigung in Höhe von 0,75 eines Monatsgehalts kann nach § 15 Abs. 2 AGG angemessen sein, wenn es sich nicht um einen schweren Verstoß des Arbeitgebers handelt und eine befristete Beschäftigung für zunächst ein Dreivierteljahr ausgeschrieben war.
Normenkette
AGG §§ 1, 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2, § 22; SGB IX § 164 Abs. 1-2, § 165
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 03.05.2018; Aktenzeichen 5 Ca 954/17) |
Tenor
1. Die Berufungen der Parteien gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 03.05.2018 - 5 Ca 954/17 - werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Zinsen auf den erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag seit dem 04.07.2017 (Rechtshängigkeit) zu zahlen sind.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung wegen Benachteiligung aus Gründen einer Behinderung, insbesondere wegen der unterbliebenen Einladung zum Vorstellungsgespräch.
Der im November 1974 geborene Kläger beendete seine Schulausbildung im Juni 1994 mit dem Abitur und leistete anschließend den einjährigen Grundwehrdienst ab. Im Oktober 1995 nahm er das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität F. a. M. auf. Von Oktober 1997 bis Juni 1999 absolvierte er an der P. Universität N. ein Magisterstudium Recht (maîtrise en droit) mit dem Schwerpunkt Öffentliches Recht (mention droit public), das er als Maître en Droit abschloss. Am 24.11.2003 legte er in Hessen die 1. Juristische Staatsprüfung mit der Note "befriedigend (7,90 Punkte)" ab. Von Dezember 2003 bis Oktober 2005 arbeitete der Kläger als Stage-Manager für ein Orchester und organisierte Konzerte bzw. Konzertreisen im In- und Ausland. Ab November 2004 absolvierte er in A-Stadt den Juristischen Vorbereitungsdienst und bestand am 23.11.2007 die 2. Juristische Staatsprüfung mit der Gesamtnote "ausreichend (Punktwert 5,68)". Anschließend arbeitete er als angestellter Rechtsanwalt in einer verkehrsrechtlich ausgerichteten Kanzlei, die er im Juli 2010 auf eigenen Wunsch verließ. Von Januar 2011 bis September 2015 war er beim Landesverband A-Stadt der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft als Justiziar angestellt. Seit Januar 2012 liegt eine unbefristet anerkannte Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 50 vor, die auf einer Erkrankung an Multiple Sklerose beruht.
Am 01.12.2015 trat der Kläger eine auf zwei Jahre befristete Beschäftigung beim Bundesministerium für Gesundheit in A-Stadt als Referent im Referat "Interne Revision, Korruptionsprävention" an.
Das beklagte Land schrieb im April 2017 folgende Stelle in der Landtagsverwaltung aus:
"Im Landtag ...
wird für das Sekretariat des Innen- und Europaausschusses zum frühestmöglichen Zeitpunkt
eine Volljuristin/ein Volljurist (Entgeltgruppe 13 TV-L),
zunächst befristet bis zum 31.12.2017, gesucht.
Aufgaben:
Mitarbeit bei der Erledigung der im Sekretariat des Innen- und Europaausschusses anfallenden wissenschaftlichen und organisatorischen Aufgaben einschließlich der
- Vorbereitung, Betreuung und Nachbereitung von Ausschusssitzungen,
- Vorbereitung von Beschlussempfehlungen und Berichten,
- Beobachtung, Selektion und Aufbereitung europapolitischer Themen,
- Erarbeitung und Bereitstellung von Dokumenten im Subsidiaritätsfrühwarnsystem und für das Subsidiaritätsnetzwerk nach dem Vertrag von Lissabon,
- Erarbeitung von Rechtsgutachten,
- Erstellung von Redeentwürfen und
- Mitwirkung bei der Öffentlichkeitsarbeit (u.a. Internetpräsenz des Landtages, Publikationen).
Anforderungen:
- Erstes und Zweites juristisches Staatsexamen, möglichst mit Prädikat,
- vertiefte Kenntnisse im Verfassungs- und Verwaltungsrecht sowie insbesondere im Europarecht; Erfahrungen im Parlamentsrechts sind von Vorteil,
- Fähigkeit zur schnellen Einarbeitung in unterschiedliche Rechtsgebiete sowie zur Erarbeitung von praktikablen Lösungen zu juristischen Fragestellungen,
- gute Englischkenntnisse; weitere Fremdsprachenkenntnisse, insbesondere Französisch, sind wünschenswert,
- Fähigkeit zur schnellen, flüssigen und präzisen Formulierung und zu komprimiertem, klarem mündlichem Vortrag,
- Zuverlässigkeit auch unter Zeitdruck, hohe Belastbarkeit und Einsatzbereitschaft,
- Fähigkei...