Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratstätigkeit. Zeiterfassungssystem. Betriebsvereinbarung. Freistellung
Leitsatz (amtlich)
Die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds nach § 38 BetrVG führt zur Befreiung von der arbeitsvertraglich fixierten Hauptleistungspflicht zur Arbeit, nicht aber von der Einhaltung der vertraglichen Arbeitszeit. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 38 Abs. 1 BetrVG „von ihrer beruflichen Tätigkeit sind … freizustellen”), dem Sinn und Zweck des § 38 BetrVG und der systematischen Auslegung unter Berücksichtigung der Teilfreistellung in § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG. Freigestellte Betriebsratsmitglieder haben deshalb grundsätzlich das Recht und die Pflicht auf Anwendung der Zeiterfassungssysteme regelnden Betriebsvereinbarung. Ein Verzicht der Arbeitgeberin auf diese Anwendung verstößt, sofern nicht in der Betriebsvereinbarung geregelt, gegen § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG
Normenkette
BetrVG §§ 38, 77 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Beschluss vom 13.05.2011; Aktenzeichen 29 BV 1/11) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 13.05.2011 – 29 BV 1/11 – abgeändert.
Der Beteiligte zu 2.) wird verpflichtet, die nach § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieder des Betriebes München während der Zeit ihrer beruflichen Freistellung gemäß der Betriebsvereinbarung für das Bodenpersonal München „Zeitdatenmanagement System (ZDMS) TARIS” vom 07.11.2000 an der elektronischen Zeiterfassung TARIS teilnehmen und dort ihre „Kommt”- und „Geht”-Zeitpunkte erfassen zu lassen, soweit diese nicht freiwillig an der Vertrauensarbeitszeit gemäß der Betriebsvereinbarung „Vertrauensarbeitszeit” vom 03.12.2010 teilnehmen.
Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligte zu 2.) zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über das Recht der Betriebsratsmitglieder, ihre Arbeitszeit elektronisch nach der für das Bodenpersonal geltenden Betriebsvereinbarung erfassen zu dürfen.
I.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1.) ist der im Betrieb München der Beteiligten zu 2.) und Antragsgegnerin (zukünftig: Arbeitgeberin) gewählte, siebzehnköpfige Betriebsrat, dessen Amtsperiode am 29.04.2010 begann. Bei der Arbeitgeberin handelt es sich um eine Luftfahrtgesellschaft mit Standort unter anderem in München.
Aufgrund eines Spruchs der Einigungsstelle vom 19.01.1998 gilt bei der Arbeitgeberin eine Rahmenbetriebsvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat zur Einführung eines Zeitdatenmanagements (ZDMS), die auszugsweise wie folgt lautet:
„1. Geltungsbereich
Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiter der L. in Deutschland, soweit sie in gleitender Arbeitszeit, nach Schicht- oder Dienstplänen oder nach flexiblen Arbeitszeitsystemen arbeiten.
3. Software
Es wird die Standardsoftware TARIS … eingesetzt.
7. Erfasste Zeitpunkte
Es werden die Zeitpunkte „kommt” und „geht” erfasst.
…
Bei Dienstreisen, Dienstgängen oder Arbeitszeiten, die außerhalb des Betriebsgeländes geleistet werden, werden die entsprechenden Reise- oder Arbeitszeitdaten im Rahmen eines Belegverkehrs an die Zeitbeauftragten geleitet und von diesen manuell in das System eingegeben.”
Am Standort München besteht seit November 2000 das elektronische Zeiterfassungssystem TARIS. Hierzu schlossen die Beteiligten für das Bodenpersonal die Betriebsvereinbarung „Zeitdatenmanagement-System (ZDMS) TARIS” (zukünftig: BV TARIS), die auszugsweise regelt:
„§ 1 Geltungsbereich
Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle BodenmitarbeiterInnen der L. AG in MUC, soweit sie in gleitender Arbeitszeit, nach Schicht oder Dienstplänen oder nach flexiblen Arbeitszeitsystemen arbeiten.
§ 2 Zweckbestimmung
Das Zeitdatenmanagementsystem dienst dazu, arbeitszeitrelevante An- und Abwesenheitsdaten zu erfassen, diese nach steuerlichen, tarifvertraglichen und sonstigen L.-Regeln zu bewerten und zum Zwecke der Vergütungsabrechnung an das Abrechnungssystem zu übergeben.
Darüber hinaus unterstützt das Zeitdatenmanagement durch definierte Auswertungen bei der Information der Mitarbeiter über ihre Arbeitszeitdaten, der Ermittlung bestimmter mitbestimmungsrelevanter und fest definierter und vereinbarter personalwirtschaftlicher Daten, der Einhaltung und Anwendung gesetzlicher, tariflicher und sonstiger L.-Regeln sowie der Erfüllung gesetzlicher Pflichten zur Buchhaltung.
Das Zeitdatenmanagementsystem kann mit z. B. Systemen zur Personaleinsatzplanung und Personaldisposition ergänzt und verbunden werden.
Es soll darüber hinaus die technischen und organisatorischen Grundlagen für die Administratoren flexibler Arbeitszeitsysteme, wie Jahresarbeitszeit, ermöglichen.
§ 6 Erfasste Zeitpunkte
Es werden die Zeitpunkte „Kommt” und „Geht” erfasst.
…
Bei Dienstreisen, Dienstgängen oder anderen Arbeitszeiten außerhalb des Dienstplanes, die im System nicht hinterlegt sind, erfolgt die Zeiterfassung im Rahmen eines Belegverkehrs. Die Abwesenheiten werden ebenfalls per Belegverkehr dokumentiert. Die Zeitdatenb...