Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtswegzuständigkeit richtet sich auch bei Zwangsarbeiterklagen nach dem Streitgegenstand.
2. Beansprucht der Kläger für die von ihm behauptete Zwangsarbeit von dem Empfänger der Arbeitsleistung den Arbeitslohn bzw. Monatslohn auf Grund eines Arbeitsverhältnisses, so ist Streitgegenstand der prozessuale Anspruch auf die einem Arbeitnehmer für die Zwangsarbeit geschuldete Vergütung.
3. Dieser prozessuale Anspruch umfasst – abgesehen von einer etwaigen Anspruchskonkurrenz – den materiellrechtlichen Erfüllungsanspruch auf die einem Arbeitnehmer auf Grund eines Arbeitsverhältnisses als Gegenleistung für die Zwangsarbeit geschuldete Vergütung (arbeitsrechtlicher Vergütungsanspruch).
4. Für die Entscheidung über den arbeitsrechtlichen Vergütungsanspruch sind die Arbeitsgerichte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG zuständig.
- Zwischen dem Zwangsarbeiter und dem Empfänger der Arbeitsleistung hat zwar kein Arbeitsverhältnis im materiellrechtlichen Sinne bestanden.
- Ein arbeitsrechtlicher Vergütungsanspruch könnte sich aber trotzdem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne von § 242 BGB in Verbindung mit dem Bekenntnis zu den Menschenrechten gemäß Art. 1 Abs. 2 GG ergeben.
Da ein solcher arbeitsrechtlicher Vergütungsanspruch trotz des Fehlens eines Arbeitsverhältnisses in Betracht kommt, kann auch die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG nicht wegen des Fehlens eines Arbeitsverhältnisses verneint werden. Das gilt sowohl nach den allgemeinen Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Abgrenzung der Rechtswegzuständigkeit als auch nach der Rechtsprechung des Fünften Senats des BAG.
5. Für die Entscheidung über etwaige andere materiellrechtliche Ansprüche sind die Arbeitsgerichte im Rahmen des selben prozessualen Anspruchs gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG zuständig.
Verfahrensgang
ArbG Augsburg (Beschluss vom 03.05.1999; Aktenzeichen 6 Ca 252/99 N) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg vom 3.5.1999 – 6 Ca 252/99 N – aufgehoben.
2. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
3. Der Streitwert für das Verfahren der sofortigen Beschwerde wird auf DM 8.272,66 festgesetzt.
4. Die weitere sofortige Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin auf Vergütung von Zwangsarbeit.
Die Klägerin ist am 14.6.1926 in Tscherkassey in der Ukraine geboren. Nach ihrem Vortrag wurde sie im Frühjahr 1942 in Tscherkassey von der SS auf der Straße festgenommen, mit einem Lastkraftwagen zum Bahnhof gefahren und von dort mit der Eisenbahn nach Deutschland gebracht.
Dort wurde sie zunächst in der Nähe von 89312 Günzburg in einem Landwirtschaftsbetrieb eingesetzt. Nach einer Woche wurde dieser Einsatz aber mangels Eignung der Klägerin beendet.
Danach war die Klägerin auf Vermittlung des Arbeitsamtes Günzburg bis zum Kriegsende in dem Hotel des Vaters des Beklagten als Helferin tätig. Dieses Hotel wurde seinerzeit von der Mutter des Beklagten geleitet, weil der Vater zur Wehrmacht eingezogen war. Die Klägerin war wie die anderen Beschäftigten in den Hotelbetrieb eingegliedert. Wie die anderen Beschäftigten erhielt die Klägerin Kost und Logis im Hotel. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Beklagten erhielt die Klägerin auch eine Entlohnung in Geld. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin wurden für sie auch Abgaben abgeführt.
Die Klägerin hat den Beklagten als Erben seines Vaters auf Zahlung von DM 24.818,– verklagt. Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, dass sie in dem Hotelbetrieb des Vaters des Beklagten als Zwangsarbeiterin ohne „ordnungsgemäße Entlohnung” beschäftigt gewesen und damit Opfer eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit geworden sei, so dass sie sowohl einen Vergütungs- als auch einen Schadensersatzanspruch auf „ordnungsgemäße Entlohnung” in Höhe des Klageanspruchs habe.
Der Beklagte hat vorgetragen, dass er „nicht ausschließen” könne, „daß die Klägerin nicht zwangsweise, sondern freiwillig aufgrund einer Vereinbarung mit seiner Mutter oder seinem Vater … tätig gewesen” sei. Lohnansprüche könne die Klägerin jedenfalls nicht mehr geltend machen.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit durch den Beschluss vom 3.5.1999 an das Landgericht Memmingen verwiesen. In der Begründung hat das Arbeitsgericht im wesentlichen ausgeführt, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen deswegen nicht gegeben sei, weil „nach dem vorgetragenen Sachverhalt … eindeutig gerade kein Arbeitsvertrag im Sinne des BGB abgeschlossen”, die „Klägerin … vielmehr gegen ihren Willen zum „Arbeitseinsatz” verbracht” worden sei und „Ansprüche auf Entschädigung für menschenrechtswidriges Unrecht” nicht vor den Gerichten für Arbeitssachen geltend gemacht werden könnten. Im übrigen wird auf diesen Beschluss Bezug genommen.
Die Klägerin hat gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt. Sie macht geltend, dass zwischen ihr und dem Vater des Beklagten doch ein Arbeitsverhältn...