Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung bei der Arbeitszeit im Zusammenhang mit dem kurzfristigen Einsatz von Leihpersonal in einer Filiale eines bundesweiten Textilunternehmens. Verwendung eines Textbausteins zur Unterrichtung des Betriebsrats. Unbegründeter Unterlassungsantrag des Betriebsrats bei unzureichenden Darlegungen zur Verletzung eines Mitbestimmungsrechts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist nicht verletzt und rechtfertigt keinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats, wenn eine Arbeitgeberin neu eingestellte Beschäftigte in ein mitbestimmtes Schichtsystem eingliedert und ihnen Arbeitszeiten zuweist, ohne hierfür die Zustimmung des Betriebsrats eingeholt zu haben oder diese durch die Einigungsstelle ersetzt haben zu lassen (entgegen BAG, Beschlüsse vom 22. August 2017 - 1 ABR 3/16, 1 ABR 4/16 und 1 ABR 5/16 -).

2. Das Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG geht bei der Neueinstellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG aufgrund teleologischer Reduktion dieser Vorschrift vor, weil anderenfalls die gesetzgeberische Zielsetzung, die mit dem Regelungsregime der §§ 99 ff. BetrVG, insbesondere mit der vorläufigen Durchführung personeller Maßnahmen nach § 100 BetrVG, verfolgt wird, nicht verwirklicht werden kann.

3. Die Verwendung eines Textbausteins für die Unterrichtung über die vorläufige Durchführung einer personellen Maßnahme genügt den Anforderungen des § 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG und stellt keine Behinderung der Bertriebsratsarbeit nach § 78 Satz 1 BetrVG dar, solange der Betriebsrat mit den ihm - insgesamt - übermittelten und bei ihm vorhandenen Informationen in der Lage ist, die vorläufige Maßnahme und ihre Erforderlichkeit mit Blick auf sein Recht zum Bestreiten nach § 100 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zu beurteilen.

 

Normenkette

BetrVG § 78 S. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 2, §§ 99-100, 2 Abs. 1, § 23 Abs. 3, § 77 Abs. 1 S. 1, § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 87 Abs. 1 Nr. 3, § 99 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, § 100 Abs. 1, 2 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 14.02.2017; Aktenzeichen 41 BV 124/16)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 22.10.2019; Aktenzeichen 1 ABR 17/18)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 14. Februar 2017 - 41 BV 124/16 - wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung von Haupt- und Hilfsanträgen zu 1. (Beschwerdehaupt- und -hilfsanträge zu II.), Haupt- und Hilfsanträgen zu 2. (Beschwerdehaupt- und -hilfsanträge zu III.), der Anträge zu 3. bis 5. (Beschwerdeanträge IV. bis VI.) sowie 8. und 9. (Beschwerdeanträge IX. und X.) richtet.

Hinsichtlich der Hilfsanträge zu 6. und 7. (Beschwerdeanträge zu VII. und VIII.) wird die Beschwerde verworfen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird hinsichtlich der Haupt- und Hilfsanträge zu 1. (Beschwerdehaupt- und -hilfsanträge zu II.) zugelassen.

 

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über Mitbestimmungsrechte im Zusammenhang mit dem kurzfristigen Einsatz von Leihpersonal in der Filiale A-Stadt F1.

Die Beteiligte zu 2 (im Folgenden: Arbeitgeberin) ist ein bundesweit tätiges Textilunternehmen mit derzeit fast 4.500 Beschäftigten in mehr als 80 Filialen in Deutschland. Die Arbeitgeberin betreibt in A-Stadt F1 eine Filiale zum Verkauf von Bekleidung, Accessoires und Schuhen. Sie beschäftigt an diesem Standort derzeit 43 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Der Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Betriebsrat) ist der für den Betrieb "F1 A-Stadt" der Arbeitgeberin gebildete dreiköpfige Betriebsrat, der durch seine Vorsitzende Frau E. vertreten wird. Das Büro des Betriebsrats befindet sich in einem von den Filialräumen entfernten Gebäudekomplex. Der Betriebsrat führt seine Sitzungen regelmäßig dienstags und mittwochs durch.

Im Betrieb F1 A-Stadt findet eine Betriebsvereinbarung "zu Beginn und Ende der Arbeitszeit, Beginn und Ende der Pausen, Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage, besondere Tage, Überstunden sowie Gestaltung des Personaleinsatzplanes" vom 22. Februar 2011 (Anlage Ast 4 = Bl. 56 ff. d.A.; im Folgenden BV Arbeitszeit) Anwendung. Dort ist u.a. geregelt:

"C. Arbeitszeit für die Beschäftigten mit Ausnahme von Filialleitung und Abteilungsleitung sowie Segunda/Segundo

1. Arbeitszeit und Pausenregelung

1.1. Regelarbeitszeit

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte beträgt derzeit ausschließlich der Pausen 37,5 Stunden. Sie ist auf höchstens fünf Arbeitstage pro Woche zu verteilen. Ausnahmen hiervon sind mit Zustimmung des Betriebsrats möglich.

[...]

1.3. Beginn und Ende der Arbeitszeit

Im Personaleinsatzplan dürfen Beschäftigte nur im Rahmen der Betriebsöffnungszeit von 6:00 - 21:00 Uhr in folgenden Arbeitsschichten eingeteilt werden:

1.3.1. Schichtrahmen Vollzeit

Frühschicht

Liefertag/Sale-/Saison-Start

Verkauf

Kasse

Sale-/Saison-Start

07:00 - 15:30

Liefertag

in der Regel Mo & Do

06:00 - 14:30

07:00 - 15:30

08:00 - 16:30

08:30 - 17:00

09:00 - 17:30

08:00 - 16:30

08:30 - 17:00

09:00 - 17:30

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