Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträgliche. Klagezulassung. Einwurf-Einschreiben
Leitsatz (amtlich)
1. Der vom Postmitarbeiter unterschriebene „Auslieferungsvermerk” auf dem „Auslieferungsbeleg” für ein Einwurf-Einschreiben ist kein geeignetes Beweismittel für den Zugang einer Kündigung, wenn dagegen beachtliche Einwendungen erhoben wurden.
2. Mit dem Bundesverwaltungsgericht (Entscheidung vom 19. September 2000 – 9 C 7/00 – NJW 2001, 458) ist davon auszugehen, dass mit dem Einwurf-Einschreiben im Unterschied zum Übergabe-Einschreiben der Postbedientete lediglich „intern” den Einwurf des Einwurf-Einschreibens vermerkt. Deshalb wird das Einwurf-Einschreiben wie normale Briefpost ausgeliefert, d. h. in den vom Empfänger bestimmten Hausbriefkasten eingeworfen. Eine bestimmte Verhaltensweise des Zustellers an Ort und Stelle, wie z. B. die Übergabebestätigung beim Übergabe-Einschreiben, wird gerade nicht vorgenommen.
3. Aus dem hier vorliegenden Auslieferungsbeleg nebst Auslieferungsvermerk ist nicht erkennbar, wann uhrzeitmäßig genau und ob er an Ort und Stelle des beurkundeten Einwurfs erstellt wurde.
4. Dadurch ist nicht gesichert, ob zum einen der Auslieferungsvermerk vor oder nach der beurkundeten Auslieferung erfolgt ist und zum anderen kann angesichts der Möglichkeiten von Fehllieferungen, die bei der Vielzahl täglich von Postzustellern vorgenommenen Zustellungen passieren, daraus nicht zwingend auf den tatsächlichen Zugang geschlossen werden. Eine vorherige Ausfüllung des Auslieferungsvermerks stellt, genauso wie diejenige am Ende aller Zustellungen am selben Tag, einen hohen Risikofaktor im Hinblick auf die tatsächlich vorgenommene Zustellung dar. Dabei vermag die Erwägung eines Abgleichs aller „übrig gebliebenen Sendungen” am Tag nach einer Tour deshalb nicht zu überzeugen, weil sie nichts im Hinblick auf etwaige fehlerhafte Zustellungen, z. B. an andere Adressaten etc., besagt.
5. Über Auslieferungsbelege im Verfahren des Einwurf-Einschreibens entsteht deshalb auch nicht der erste Anschein eines Zugangs der Sendung
Normenkette
KSchG § 5
Verfahrensgang
ArbG Kempten (Beschluss vom 01.12.2003; Aktenzeichen 05 Ca 1956/03 M) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kempten vom 1. Dezember 2003 – Gz.: 05 Ca 1956/03 M – aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger verlangt die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch eine ordentliche Kündigung der Beklagten beendet worden sei und hilfsweise die nachträgliche Zulassung der Klage.
Der am 1. Januar 1956 geborene, verheiratete Kläger, Vater von vier Kindern, ist seit 3. Dezember 1979 bei der Beklagten als Arbeiter gegen einen monatlichen Lohn in Höhe von zuletzt EUR 1.980,– brutto beschäftigt.
Unstreitig kommt auf das Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz zur Anwendung.
Beim Kläger wohnt auch noch dessen volljähriger Sohn, der Zeuge Daniel Gü. Nur diese beiden haben nach dem unwidersprochen gebliebenen Sachvortrags des Klägers einen Schlüssel zu seinem Briefkasten.
Am 5. Mai 2003 ist dem Kläger ein Schreiben der Beklagten vom 25. April 2003 übergeben worden, das den Betreff „Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2003” trägt und in dem er aufgefordert wird, seinen „anteiligen Urlaubsanspruch mit (der Beklagten) abzustimmen” und ihm insoweit ein Termin für den 25. August 2003 gesetzt wird. Der letzte Satz dieses Schreibens lautet: „Sofern Sie den Urlaubsanspruch nicht geltend machen, verfällt er mit Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2003.” Als sich der Kläger am 6. Mai 2003 bei seinem Prozessbevollmächtigten einfand, wurde er von diesem nach einem Kündigungsschreiben gefragt und gab zur Antwort, er, der Kläger, habe keines erhalten.
Die Beklagte hat sowohl den Einlieferungs- als auch den Auslieferungsbeleg für ein Einwurf-Einschreiben der Deutschen Post AG vorgelegt; der Einlieferungsbeleg zeigt im „Postvermerk”, mit der Vorgabe „ggf. Sendungsnummer einkleben, Tagesstempel anbringen, unterschreiben” das maschinenschriftliche Datum 20. Dezember 2002, jedoch ohne Unterschrift und der Auslieferungsbeleg den folgenden
„Auslieferungsvermerk:
Ich habe die Sendung(en) dem Empfangsberechtigten übergeben bzw. das/die EINSCHREIBEN/EINWURF in die Empfangsvorrichtung des Empfängers eingelegt.
Datum …
Postmitarbeiter: Unterschrift.”
Im Datumsfeld findet sich handschriftlich die Eintragung „211202” und bei „Postmitarbeiter: Unterschrift” eine Unterschrift.
Am 2. Juni 2003 ist beim Arbeitsgericht eine „Klage und Antrag auf nachträgliche Zulassung” eingegangen.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht vorgetragen,
er habe von der Beklagten kein Kündigungsschreiben, auch nicht das von dieser behauptete vom 20. Dezember 2002 erhalten. Erstmals mit ihrem Schreiben vom 15. April 2003, das ihm am 5. Mai 2003 übergeben worden sei, sei er über die angebliche Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2003 informiert worden und habe dann am nächsten Tag anwaltlichen Rat ...