Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Prozesskostenhilfe wegen unterbliebener Mitteilung einer Adressänderung und von Einkommensverbesserungen
Leitsatz (amtlich)
Der Vollzug des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO muss die durch den Justizgewährungsanspruch und das Sozialstaatsgebot gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen beachten.
Der Mitteilungspflicht ist dann Genüge getan, wenn die Mitteilung dem zuständigen Gericht tatsächlich vorliegt.
Hat das Erstgericht in einem atypischen Fall keine Ermessensentscheidung getroffen, ist der Aufhebungsbescheid aufzuheben. Das Erstgericht hat dann Gelegenheit, sein Ermessen auszuüben mit dem Ergebnis entweder erneut aufzuheben, allerdings unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles, oder die Aufhebung zu unterlassen.
Normenkette
ZPO § 120a Abs. 2 S. 1 Fassung: 2014-01-01, S. 2 Fassung: 2014-01-01, S. 3 Fassung: 2014-01-01, § 124 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 2014-01-01
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 28.11.2014; Aktenzeichen 2 Ca 1249/14) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Aufhebungsbeschluss des Arbeitsgerichts München vom 28.11.2014 - 2 Ca 1249/14 - aufgehoben.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die sofortige Beschwerde richtet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der ab 01.01.2014 geltenden Fassung wegen unterbliebener Mitteilung einer Adressänderung und von Einkommensverbesserungen.
Die Antrag des Beschwerdeführers auf Prozesskostenhilfe datiert vom 20.02.2014, die vom Beschwerdeführer unterschriebene Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse stammt vom 14.02.2014 und enthält einen Hinweis darauf, dass wesentliche Verbesserungen der wirtschaftlichen Verhältnisse sowie eine Adressänderung unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen sind, und dass bei einem Verstoß hiergegen die Bewilligung aufgehoben werden kann. Zum Zeitpunkt der Antragstellung verfügte der Beschwerdeführer über kein Einkommen.
Dem Beschwerdeführer wurde durch Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 01.04.2014 für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung bewilligt. Im Rahmen der Überprüfung übermittelte der Beschwerdeführer unter dem 07.11.2014 eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse samt Anlagen, aus der sich ergibt, dass er seit 01.10.2014 Sozialleistungen nach dem SGB II i.H.v. € 870 monatlich bezieht. Aus dem beigefügten Bescheid ergibt sich, dass er bereits vor dem 02.09.2014 Sozialleistungen bezogen hat.
Mit Schreiben vom 13.11.2014 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die Prozesskostenhilfebewilligung deswegen aufzuheben; er erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu. Mit Schreiben vom 26.12.2014 teilte der Beschwerdeführer mit, dass er im Zeitraum bis 14.10.2014 Arbeitslosengeld in Höhe von € 600,80 zuzüglich Aufstockung monatlich erhalten habe. Dem Schreiben beigefügt war ein Bescheid der Agentur für Arbeit München vom 02.04.2014 für Arbeitslosengeld in Höhe von € 20,02 täglich.
Mit Beschluss vom 28.11.2014 (dem Beschwerdeführer am 02.12.2014 zugestellt) wurde die Prozesskostenhilfebewilligung wegen unterbliebener Mitteilung einer Einkommensverbesserung aufgehoben. Mit Schriftsatz vom 16.12.2014 (Zugang beim Arbeitsgericht München am 17.12.2014) legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein. Zur Begründung führte er aus, dass er sowohl den Bescheid der Agentur für Arbeit vom 02.04.2014 als auch den Bescheid des Landratsamts M. vom 05.05.2014 zeitnah übermittelt habe.
Mit Beschluss vom 18.12.2014 wurde der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie deswegen dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Beschluss vom 201.01.2015 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, seinen Vortrag zur behaupteten Übermittlung der Bescheide zu präzisieren und zu belegen, sowie den Bescheid vom 05.05.2014 vorzulegen. Innerhalb mehrfach verlängerter Frist übermittelte der Beschwerdeführer den Bescheid und eine eidesstattliche Versicherung vom 19.02.2015 zu einem Versand der Bescheide an das Arbeitsgericht.
II.
Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 Satz 1 ArbGG, § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, 567 ff. ZPO, § 40 EGZPO zulässige und form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet.
III.
Aufgrund des in zulässiger Weise (§ 571 Abs. 2 ZPO) ergänzten Vortrags in der Beschwerde ist von einem atypischen Fall auszugehen, so dass anstelle der regelhaften Aufhebung eine Ermessensentscheidung zu treffen ist (§ 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, unterliegt der vollen Überprüfung in der Beschwerde. Diese Frage betrifft nicht ein eventuelles Ermessen, also den Vorgang der Auswahl unter mehreren möglichen Entscheidungen, sondern ist dem vorgelagert. Hat das Erstgericht in einem solchen Fall keine Ermessensentscheidung getroffen, dann ist der Aufhebungsbescheid aufzuheben, um dem Erstgericht Gelegenheit zu geben, eine solche zu treffen. Das Beschwerdegerich...