Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei Verstößen gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 BetrVG. Wechselseitige Rücksichtnahmepflichten aus § 2 BetrVG. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beim "mobilen Arbeiten"
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Betriebsrat hat bei Verstößen gegen sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG einen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber, auch wenn dieser Anspruch in § 87 BetrVG nicht ausdrücklich geregelt wird. Unterlassungsansprüche können aber als selbstständige, einklagbare Nebenleistungsansprüche auch ohne gesetzliche Normierung bestehen.
2. Das durch Bildung eines Betriebsrats kraft Gesetzes zustande kommende "Betriebsverhältnis" ist einem gesetzlichen Dauerschuldverhältnis ähnlich. Es wird bestimmt durch die Rechte und Pflichten, die in den einzelnen Mitwirkungstatbeständen normiert sind, sowie durch wechselseitige Rücksichtspflichten, die sich aus § 2 BetrVG ergeben. § 2 BetrVG enthält eine dem Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne von § 242 BGB vergleichbare Konkretisierung des Gebots partnerschaftlicher Zusammenarbeit.
3. Bestimmt der Arbeitgeber die Ausgestaltung mobiler Arbeit, die mit Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird, muss er nach § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG die zwingende Mitbestimmung des Betriebsrats beachten.
Normenkette
ZPO §§ 890, 940; BetrVG §§ 2, 87 Abs. 1 Nr. 14, § 115 Abs. 7 Nr. 4; BGB § 242
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 18.04.2023; Aktenzeichen 40 BVGa 8/23) |
Tenor
1. Unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts München vom 18.04.2023 - 40 BVGa 8/23 - wird die Beteiligte zu 2) verurteilt, die Anordnung einer verpflichtenden Anwesenheit der nichtleitenden Mitarbeitenden von vier Tagen im Monat und einer Anwesenheit der nichtleitenden Mitarbeitenden aus betrieblichen Gründen in der Betriebsstätte in der Königinstraße 28, 8..0802 München sowie der Abhängigkeit der Flexibilität von Mobilem Arbeiten je nach persönlichem und/oder geschäftlichem Bedarf zurückzunehmen, bis hierzu eine Betriebsvereinbarung mit dem Beteiligten zu 1) abgeschlossen oder ein Einigungsstellenspruch oder eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren ergangen ist.
2. Unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts München vom 18.04.2023 - 40 BVGa 8/23 - wird die Beteiligte zu 2) verurteilt, es zu unterlassen, eine verpflichtende Anwesenheit der nichtleitenden Mitarbeitenden von vier Tagen im Monat und einer Anwesenheit der nichtleitenden Mitarbeitenden aus betrieblichen Gründen in der Betriebsstätte in der Königinstraße 28, 8..0802 München sowie der Abhängigkeit der Flexibilität von Mobilem Arbeiten je nach persönlichem und/oder geschäftlichem Bedarf anzuordnen, solange hierzu keine Betriebsvereinbarung mit dem Beteiligten zu 1) abgeschlossen oder ein Einigungsstellenspruch oder eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren ergangen ist.
3. Unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts München vom 18.04.2023 - 40 BVGa 8/23 - wird der Beteiligten zu 2) für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Nr. 2 ein Ordnungsgeld von bis zu Euro 25.000 angedroht.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten in der Beschwerdeinstanz weiter um die Rücknahme bzw. Unterlassung von Anordnungen der Beteiligten zu 2).
Die Beteiligte zu 2) ist ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in München und gehört zum globalen Versicherungskonzern der Allianz-Gruppe mit der Zentrale in München. Der Geschäftsbereich der Antragsgegnerin "Allianz Reinsurance" bzw. "Allianz Re" bietet Rückversicherungslösungen und -dienstleistungen für allianzinterne OEs und Rückversicherungsschutz für externe Versicherungsgesellschaften an und ist ein Rückversicherer der Allianz-Gruppe. Am Sitz in München gibt es im Geschäftsbereich "Allianz Re" derzeit rund 300 Beschäftigte.
Der Beteiligte zu 1) ist der bei der Beteiligten zu 2) gebildete Betriebsrat der Allianz Reinsurance (Re) am Standort München. Er wird vertreten durch die Betriebsratsvorsitzende S W.
Zwischen den Beteiligten wurde im Juli 2016 die "Betriebsvereinbarung über eine flexible Arbeitszeitregelung in der Allianz SE Reinsurance" abgeschlossen (Anlage AG2).
Diese beinhaltet unter Punkt 4. mit der Überschrift "Mobiles Arbeiten" folgende Regelungen:
"Ein Mitarbeiter kann in Abstimmung mit seinem Vorgesetzten außerhalb der Räume der Allianz SE Reinsurance arbeiten(Mobiles Arbeiten), wenn die Aufgaben und Funktionen des Mitarbeiters für Mobiles Arbeiten grundsätzlich geeignet sind, d. h. durch Mobiles Arbeiten keine Beeinträchtigung der Arbeitsleistung des Mitarbeiters oder der Betriebsabläufe verursacht wird. Der deutlich überwiegende Teil der Arbeitszeit sollte jedoch am regelmäßigen Arbeitsplatz geleistet werden.
Auch bei Mobilem Arbeiten hat der Mitarbeiter die allgemeinen Regelungen zur Arbeitssicherheit sowie zur Datensicherheit, vor allem auch zu Papierdokumenten, zu beachten. Insoweit bleiben durch diese Betriebsvereinbarung auch alle zur Datensicherheit einschlägigen Regelu...