Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtswegzuständigkeit richtet sich auch bei Zwangsarbeiterklagen nach dem Streitgegenstand.
2. Beansprucht der Kläger für die von ihm behauptete Zwangsarbeit von dem Empfänger der Arbeitsleistung den Arbeitslohn bzw Monatslohn auf Grund eines Arbeitsverhältnisses, so ist Streitgegenstand der prozessuale Anspruch auf die einem Arbeitnehmer für die Zwangsarbeit geschuldete Vergütung.
3. Dieser prozessuale Anspruch umfasst – abgesehen von einer etwaigen Anspruchskonkurrenz – den materiellrechtlichen Erfüllungsanspruch auf die einem Arbeitnehmer auf Grund eines Arbeitsverhältnisses als Gegenleistung für die Zwangsarbeit geschuldete Vergütung (arbeitsrechtlicher Vergütungsanspruch).
4. Für die Entscheidung über den arbeitsrechtlichen Vergütungsanspruch sind die Arbeitsgerichte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG zuständig.
- Zwischen dem Zwangsarbeiter und dem Empfänger der Arbeitsleistung hat zwar kein Arbeitsverhältnis im materiellrechtlichen Sinne bestanden.
- Ein arbeitsrechtlicher Vergütungsanspruch könnte sich aber trotzdem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne von § 242 BGB in Verbindung mit dem Bekenntnis zu den Menschenrechten gemäß Art. 1 Abs. 2 GG ergeben.
Da ein solcher arbeitsrechtlicher Vergütungsanspruch trotz des Fehlens eines Arbeitsverhältnisses in Betracht kommt, kann auch die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gemäß §2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG nicht wegen des Fehlens eines Arbeitsverhältnisses verneint werden. Das gilt sowohl nach den allgemeinen Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Abgrenzung der Rechtswegzuständigkeit als auch nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BAG.
5. Für die Entscheidung über etwaige andere materiellrechtliche Ansprüche sind die Arbeitsgerichte im Rahmen des selben prozessualen Anspruchs gemäß §17 Abs. 2 Sa 1 GVG zuständig.
Verfahrensgang
ArbG München (Beschluss vom 22.07.1999; Aktenzeichen 8 Ca 4597/99) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 22.7.1999 – 8 Ca 4597/99 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der sofortigen Beschwerde.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf DM 9.927,27 festgesetzt.
4. Die weitere sofortige Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin wegen Zwangsarbeit.
Die Klägerin ist am 27.2.1927 in der Ukraine geboren. Sie ist ukrainische Staatsangehörige.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass sie 1942 in einem Sammeltransport zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht worden sei. Dort habe sie bis 1945 von Montag bis Samstag täglich 12 Stunden in einem Betrieb der Beklagten, einem Unternehmen der Elektroindustrie, weisungsabhängige Arbeit als Reinigungskraft leisten müssen. Während ihrer „Freizeit” sei sie in bewachten Lagern untergebracht gewesen.
Die Klägerin hat weiter vorgetragen, mit der Beklagten seien unmittelbare Rechtsbeziehungen begründet worden, die als Arbeitsverhältnis anzusehen seien. Ihre Arbeit sei nicht bezahlt worden. Deswegen habe sie einen Anspruch auf Entschädigung für die von ihr geleistete Zwangsarbeit in Höhe eines wöchentlichen Arbeitslohns von DM 60,– bzw. eines durchschnittlichen Monatslohns in Höhe von DM 240,– erworben, woraus sich nunmehr ein Anspruch in Höhe von DM 43.636,36 für 40 Monate Zwangsarbeit ergebe.
Außerdem hat die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von DM 6.000,– für eine „deliktische Verletzung des Arbeitsvertrages” beansprucht.
Ihre Ansprüche seien nicht verjährt, weil es sich bei der ihr auferlegten Zwangsarbeit um ein Verbrechen gegen die Menschheit und damit um ein Kriegsverbrechen gehandelt habe.
Die Klägerin hat die Beklagte demgemäß auf Zahlung von insgesamt DM 49.636,36 verklagt.
Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen gerügt. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG setze die Zulässigkeit des Rechtswegs für die von der Klägerin erhobene Klage ein Arbeitsverhältnis voraus, das wiederum einen entsprechenden privatrechtlichen Vertrag voraussetze. Von einem solchen Arbeitsverhältnis könne auch nach dem Vortrag der Klägerin keine Rede sein. Tatsächlich sei Zwangsarbeit von staatlichen Arbeitseinsatzdienststellen angeordnet worden. Das sei zwar ein Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen, schließe ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aber mangels eines Vertrages aus. Statt dessen habe nach der seinerzeitigen Verordnungslage ein Beschäftigungsverhältnis eigener Art. bestanden. Ob die Klägerin die von ihr behauptete Zwangsarbeit tatsächlich geleistet habe und diese Arbeit nicht vergütet worden sei, müsse noch geprüft werden.
Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 22.7.1999 die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen festgestellt. Im übrigen wird auf diesen Beschluss Bezug genommen.
Die Beklagte hat gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt. Sie macht weiterhin im wesentlichen den Mangel eines Arbeitsverhältnisses geltend. Wiedergutmachung könne nicht d...