Entscheidungsstichwort (Thema)
Streit um die Einrichtung einer Einigungsstelle als nicht vermögensrechtlicher Gegenstand i.S.d. § 23 Abs. 3 RVG. Bewertung einer nicht vermögensrechtlichen Streitigkeit. Kriterien für die Bedeutung einer Streitsache im Mitbestimmungsbereich des BetrVG. Erhöhung des Gegenstandswerts bei zusätzlichem Streit über die Besetzung der Einigungsstelle. Streitwertkatalog für die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit. Bedeutung eines Streits über die Mitbestimmung des Betriebsrats bei technischen Kontrolleinrichtungen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Streit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber um die Einrichtung einer Einigungsstelle ist als nicht vermögensrechtlicher Gegenstand gem. § 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG zu bewerten; dabei ist der Ausgangswert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Sache, zu erhöhen oder zu mindern.
2. Die Bedeutung der Sache leitet sich u.a. aus dem im Streit stehenden Mitbestimmungsrecht und der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ab.
3. Der Gegenstandswert erhöht sich bei einem weiteren Streit über die Person des Vorsitzenden und/oder die Anzahl der Beisitzer um jeweils 1/4.
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Interesse der bundesweiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung zur Wertfestsetzung und damit verbunden im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit bei bestimmten typischen Fallkonstellationen hat die auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichtete Streitwertkommission Vorschläge erarbeitet, die im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte niedergelegt sind.
2. Die Regelung in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dient dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer vor Eingriffen durch anonyme technische Kontrolleinrichtungen. Sind von dem Regelungsgegenstand eine Vielzahl von Arbeitnehmern betroffen, ist es gerechtfertigt, wegen der Bedeutung des Themas eine Erhöhung des Gegenstandswerts vorzunehmen.
Normenkette
ArbGG § 100; RVG § 23 Abs. 3 S. 2 Hs. 2; GKG § 48 Abs. 2; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
ArbG Regensburg (Entscheidung vom 31.07.2023; Aktenzeichen 5 BV 18/23) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg vom 31.07.2023 - 5 BV 18/23 - teilweise wie folgt abgeändert:
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Arbeitgeberin gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats im Verfahren nach § 100 ArbGG.
Im Ausgangsverfahren verlangte der Betriebsrat von der Arbeitgeberin die Einrichtung einer Einigungsstelle betreffend die Regelung des Einsatzes und der Anwendung einer Software zur Nacharbeitserfassung/End-of-Line Prüfung im Betrieb A-Stadt, in dem ca. 170 Arbeitnehmer beschäftigt werden, mit dem Vizepräsidenten des LAG N. a. D. als Vorsitzenden und drei Beisitzern auf jeder Seite. Dem Antrag wurde durch Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg stattgegeben. In diesem hielt das Arbeitsgericht fest, dass über die Person des Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer je Seite kein Streit bestanden habe (unter II. 2 b) der Gründe = S. 11 des Urteils bzw. Bl. 157 d. A). Die hiergegen seitens der Arbeitgeberin eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.
Das Arbeitsgericht hat den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit durch Beschluss vom 31.07.2023 - 5 BV 18/23 - auf 7.500,00 € festgesetzt.
Gegen diesen, ihr am 02.08.2023 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 11.08.2023 Beschwerde eingelegt. Für die Wertbemessung nach § 23 Abs. 3 RVG sei die vorliegend äußerst geringe Bedeutung des Mitbestimmungsrechts zu berücksichtigen. Zwar liege eine technische Einrichtung vor, aber sie werde faktisch nicht zur Leistungsüberwachung der Arbeitnehmer verwendet. Die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer sei gering. Nach dem aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit sei eine Erhöhung des Streitwerts für die Person des Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer je Seite nur in Betracht zu ziehen, wenn die Beteiligten darüber gestritten hätten, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei. Im Anschluss an LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Februar 2021 - 26 Ta (Kost) 6009/21 - sei bei einem Streit über das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 100 ArbGG ¾ des Hilfswerts angemessen, wenn ca. 660 Personen betroffen wäre. Hieraus rechtfertige sich ein Gegenstandswert von 2.500,00 €.
Die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats verteidigen die erstinstanzliche Wertfestsetzung.
Das Arbeitsgericht Regensburg hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Aufwand und Schwierigkeit des Verfahrens wichen vom Standardfall, der dem Streitwertkatalog zugrunde liege, erheblich ab. Es seien Rechtsfragen bzgl. der Reichweite des Mitbestimmungsrechts, Zuständigkeitsfragen gem. § 50 Betr...