Entscheidungsstichwort (Thema)
Jederzeitiges Einsichtsrecht der Betriebsratsmitglieder in elektronische Unterlagen des Betriebsrats und seiner Ausschüsse. Rechtwidrige Beschränkung des Einsichtsrechts durch Verweis auf Einsichtnahme an einem "gehärteten PC" im Vorraum des Sitzungssaales
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 34 Abs. 3 BetrVG haben die Mitglieder des Betriebsrats das Recht, die Unterlagen des Betriebsrats und seiner Ausschüsse jederzeit einzusehen; nach dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Regelung gehören zu den Unterlagen des Betriebsrats nicht nur die Sitzungsniederschriften sondern sämtliche Aufzeichnungen und Materialien, die der Betriebsrat oder ein Ausschuss angefertigt hat und die ständig zur Verfügung stehen unabhängig davon, ob diese in Papierform oder als auf Datenträger gespeicherte Dateien erstellt worden sind.
2. Zu den Unterlagen im Sinne des § 34 Abs. 3 BetrVG zählt insbesondere auch das E-Mail-Konto des Betriebsrats, unter dem er seine Korrespondenz führt.
3. Soll die Möglichkeit zur Einsichtnahme "jederzeit" bestehen, müssen elektronische Unterlagen auf elektronischem Weg sofort zur Verfügung gestellt werden; das entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 34 Abs. 3 BetrVG, nach dem sich jedes Betriebsratsmitglied ohne zeitliche Verzögerung einen Überblick über die Gesamttätigkeit des Betriebsrats verschaffen kann, damit nicht Mitglieder aufgrund ihres Status oder aufgrund übertragener Sonderaufgaben (etwa als Vorsitzende oder deren Vertretung, als Ausschussmitglied, Systemadministrator oder als freigestelltes Betriebsratsmitglied) gegenüber Betriebsratsmitgliedern ohne besondere Funktionen über einen Informationsvorsprung verfügen.
4. Das Recht auf jederzeitige Information gemäß § 34 Abs. 3 BetrVG gewährleistet auch ein Kontrollrecht einzelner Betriebsratsmitglieder über die Aufgabenwahrnehmung der anderen Betriebsratsmitglieder; dabei erstreckt sich das Kontrollrecht auch auf die Tätigkeiten des Vorsitzenden, der den Betriebsrat nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG im Rahmen der gefassten Beschlüsse nach außen vertritt, so dass § 34 Abs. 3 BetrVG insoweit auch dem Minderheitenschutz dient.
5. Betriebsratsmitglieder mit unbeschränktem elektronischen Leserecht verfügen gegenüber Betriebsratsmitgliedern, denen das Leserecht nur in schriftliche Unterlagen gewährt wird, über einen erheblichen Informationsvorsprung, der mit dem Gesetzeszweck nicht vereinbar ist, da die Betriebsratsmitglieder mit unbeschränktem elektronischen Leserecht die aktuellen Inhalte einer Datei zeitnah zur Kenntnis nehmen können und so die Möglichkeit haben, Sachthemen auf aktuellem Stand zu erörtern, während die anderen Betriebsratsmitglieder erst abwarten müssen, bis die Dateien freigegeben und in Papierform abgelegt werden; dieser Informationsvorsprung kommt in besonderem Maße zum Tragen, wenn nur bestimmte Mitglieder des Betriebsrats das jederzeitige Leserecht des E-Mail-Verkehrs haben, weil sich die Kommunikation über E-Mails durch ihre Unmittelbarkeit auszeichnet.
6. Das Einsichtsrecht einzelner Betriebsratsmitglieder ist unabdingbar und kann nicht durch Maßnahmen nach § 9 BDSG und der dazu geltenden Anlage in Bezug auf personenbezogene Daten (§ 31 BDSG) beschränkt werden (§§ 99 Abs. 1 Satz 3, 102 Abs. 2 Satz 5, 79 Abs. 1 Satz 3 BetrVG); der Betriebsrat hat vielmehr Maßnahmen zu treffen, die den Datenmissbrauch innerhalb seines Verantwortungsbereichs begrenzen, ohne das Leserecht für einzelne Betriebsratsmitglieder inhaltlich zu beschränken.
7. Die Einrichtung eines "gehärteten PC", für den Kopien der Laufwerke des Betriebsrats in einer Taktung von 15 Minuten erstellt und über den für alle Betriebsratsmitglieder unter Verwendung eines Benutzerschlüssels und Passworts lesender Zugriff auf die Daten des Betriebsrats ermöglicht wird, stellt nicht für alle Betriebsratsmitglieder in gleichem Maße die Möglichkeit zur Verfügung, Einsicht in die Ausschussunterlagen zu nehmen wie etwa den Ausschussmitgliedern, denen an ihrem Arbeitsplatz-PC ein elektronisches Leserecht in die Ausschussunterlagen eingeräumt wird, wenn die Betriebsratsmitglieder mit alleiniger Einsichtnahmemöglichkeit am "gehärteten PC" ihren Arbeitsplatz verlassen und etwa 500 Meter zum Vorraum des Sitzungssaals des Betriebsrats zurücklegen müssen und es dadurch zu zeitlichen Verzögerungen kommt, die zwar nicht groß sein mögen, aber dennoch nicht mit § 34 Abs. 3 BetrVG in Einklang stehen, weil diese Norm gerade eine Information ohne zeitliche Verzögerung sicherzustellen bezweckt; darüber hinaus kann es dadurch zu weiteren Verzögerungen kommen, dass diese Betriebsratsmitglieder einen geeigneten Moment zum Verlassen des Arbeitsplatzes abpassen müssen, während die elektronische Lesemöglichkeit am Arbeitsplatz-PC eine Einsichtnahme "zwischendurch" ermöglicht.
8. Gegen eine sofortige Zurverfügungstellung auf elektronischem Wege durch das Einsichtsrecht am "gehärteten PC" spricht auch die Einrichtung eines Systemdienstes, der Kopien aller Betriebsratsunterlagen in...