Entscheidungsstichwort (Thema)
Behinderung der Betriebsratstätigkeit. Betriebsratstätigkeit im Erziehungsurlaub
Leitsatz (amtlich)
1. Mangels einer entsprechenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung ist davon auszugehen, daß jedenfalls dann, wenn ein Betriebsrat seine Aufgaben nach dem BetrVG zusammen mit einem Betriebsratsmitglied, das sich in Erziehungsurlaub befindet, jedoch willens und in der Lage ist, alle mit seinem Betriebsratsamt zusammenhängenden Rechte wahrzunehmen, erfüllen will, dieses Betriebsratsmitglied den Betrieb betreten und an Betriebsratssitzungen teilnehmen darf.
2. Deshalb ist es auch der Arbeitgeberin zu verbieten, dem Betriebsratsmitglied Abmahnungen dafür auszusprechen, daß es während seines Erziehungsurlaubs den Betrieb zum Zwecke der Betriebsratstätigkeit aufsucht.
Normenkette
BetrVG § 78 S. 1, § 25 Abs. 1 S. 2; BErzGG §§ 15, 21 Abs. 7
Verfahrensgang
ArbG Rosenheim (Beschluss vom 30.09.1997; Aktenzeichen 2 BV 20/97) |
Tenor
Der Beschluß des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 30.09.1997 – Gz.: 2 BV 20/97 Tr. – wird geändert:
1. Es wird festgestellt, daß das Betriebsratsmitglied … auch während ihres Erziehungsurlaubs berechtigt ist, den Betriebsrat aufzusuchen und an Betriebsratssitzungen teilzunehmen.
2. Die Antragsgegnerin wird bei Meidung eines Zwangsgeldes in Höhe von DM 10.000,–, ersatzweise Zwangshaft für den Fall der Uneinbringlichkeit, zu vollstrecken am Geschäftsführer, verboten, dem Betriebsratsmitglied … Abmahnungen dafür auszusprechen, daß sie während ihres Erziehungsurlaubs den Betrieb zum Zwecke der Betriebsratstätigkeit aufsucht.
3. Der Antragsgegnerin wird geboten, dem Betriebsratsmitglied … Zugang zum Betrieb als Betriebsratsmitglied zu gewähren.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Betriebsratsmitglied, das sich in Erziehungsurlaub befindet, berechtigt ist, sein Betriebsratsamt auszuüben, d. h. zur Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben den Betrieb zu betreten, den Betriebsrat aufzusuchen und an Betriebsratssitzungen teilzunehmen.
Die Beteiligte zu 2 (Arbeitgeberin) ist ein Unternehmen mit einem Betrieb, in dem etwa 55 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Der Beteiligte zu 1 ist in diesem Betrieb Betriebsrat; er besteht aus fünf Mitgliedern, darunter die Beteiligte zu 3 (Betriebsratsmitglied). Dieses Betriebsratsmitglied ist seit 1. Juli 1987 bei der Arbeitgeberin als Sachbearbeiterin beschäftigt.
Es befindet sich seit 13. August 1997 in Erziehungsurlaub und will in dieser Zeit seine Aufgaben als Betriebsratsmitglied erfüllen. Zu diesem Zweck will es den Betrieb betreten, den Betriebsrat aufsuchen und an Betriebsratssitzungen teilnehmen. Damit ist der Betriebsrat einverstanden.
Die Arbeitgeberin hat dieses Betriebsratsmitglied mündlich im Beisein des Betriebsrats am 22. Juli 1997, schriftlich über den Betriebsratsvorsitzenden am 31. Juli 1997, erneut mündlich am 1. August 1997 und mit Schreiben vom 4. August 1997 aufgefordert, seine „aktive Betriebsratstätigkeit einzustellen”, weil seine „Betriebsratsmitgliedschaft” wegen der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs ruhe. Mit Beschlüssen vom 5. und 29. August 1997 hat der Betriebsrat „feste Sprechstunden insbesondere auch für weibliche Mitarbeiterinnen für (das hier betroffene Betriebsratsmitglied) eingerichtet”. Er hat es als seinen Vertreter im Sicherheitsausschuß belassen. Mit Schreiben vom 8. August 1997 hat die Arbeitgeberin dieses Betriebsratsmitglied wegen Mißachtung ihrer vorgenannten Aufforderungen eine Abmahnung erteilt und ein Hausverbot angedroht. Mit Schreiben vom 29. August 1997 beharrte die Arbeitgeberin auf ihrem Standpunkt, während des Erziehungsurlaubs des Betriebsratsmitglieds dürfe dieses seinen entsprechenden Aufgaben nicht nachgehen und drohte die „Durchsetzung des angekündigten Hausverbots” an.
Der Betriebsrat hat vor dem Arbeitsgericht ausgeführt, die Tatsache, daß das Betriebsratsmitglied sich in Erziehungsurlaub befinde, sei für die von diesem beabsichtigte Wahrnehmung seiner entsprechenden Rechte und Pflichten ohne jegliche Bedeutung. Das Recht eines Betriebsratsmitglieds, sein Amt auszuüben, hänge nicht davon ab, ob es arbeitsunfähig krank sei, sich in Urlaub oder Kurzarbeit befinde. Dies habe das Bundesarbeitsgericht bereits entschieden. Ein Betriebsratsmitglied könne durchaus während derartiger Zeiten sein Betriebsratsamt ausüben.
Die Abmahnung gegenüber Betriebsratsmitgliedern wegen Wahrnehmung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben sei unzulässig. Insoweit werde auf § 78 S. 1 BetrVG zu verwiesen.
Der Betriebsrat hat deshalb vor dem Arbeitsgericht folgende Anträge gestellt:
- Es wird festgestellt, daß das Betriebsratsmitglied … auch während ihres Erziehungsurlaubs berechtigt ist, den Betriebsrat aufzusuchen und an Betriebsratssitzungen teilzunehmen.
- Der Antragsgegnerin wird bei Meidung eines Zwangsgeldes, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird – bzw. ersatzweise Zwangshaft für den Fall der Uneinbringlichkeit, zu vollstrecken am Geschäftsführer – verboten, d...