Entscheidungsstichwort (Thema)
Werterhöhende Berücksichtigung eines Antrags auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Wirtschaftliche Identität zwischen Kündigungsschutzklage und Vergütungsklage aus Annahmeverzug. Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Verzugsvergütung als Annex der Kündigungsschutzklage
Leitsatz (amtlich)
1. Der vorläufige Antrag auf Weiterbeschäftigung ist, wenn er im Bestandsschutzverfahren gestellt wird, werterhöhend nur dann zu berücksichtigen, wenn über ihn entschieden worden ist, wenn er in einem Vergleich durch eine ihn betreffende ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung mitgeregelt wurde oder wenn er als unbedingter Hilfsantrag gestellt wird.
2. Wendet sich die klagende Partei in einem Rechtsstreit gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und macht zudem im Wege der objektiven Klagehäufung Ansprüche auf Vergütungsbestandteile geltend, deren Bestand von dem streitigen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängt, besteht nach dem streitigen Beendigungszeitpunkt eine wirtschaftliche Identität zwischen der Bestandsstreitigkeit und dem Streit über die Annahmeverzugsvergütung (im Anschluss an BAG, Beschluss vom 01.03.2022 - 9 AZB 38/21 -).
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Streitwertkommission der Arbeitsgerichtsbarkeit hat einen "Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit" erarbeitet. Er hat zwar keine bindende Wirkung, gibt jedoch hinsichtlich bestimmter typischer Fallkonstellationen eine Orientierung, um Kostenrisiken für die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten zu reduzieren und die die Parteien treffende Kostenlast bereits im Vorfeld prognostizierbar zu machen.
2. Stellt der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Regelfall die einzige zwischen den Parteien streitige Voraussetzung dar, von deren Vorliegen der Anspruch aus § 615 S. 1 BGB abhängt, ist das Zahlungsbegehren nicht mehr als der wirtschaftliche Annex des Feststellungsantrags und begründet als solcher kein selbstständiges Interesse, das eine gesonderte Berücksichtigung im Rahmen der Streitwertfestsetzung rechtfertigen könnte. Dies hat zur Folge, dass nach § 45 Abs. 1 S. 3 GKG keine Wertaddition stattfindet, sondern der höhere Wert maßgeblich ist.
Normenkette
GKG §§ 44, 45 Abs. 1 S. 3; RVG § 33; GKG § 68; ZPO § 254; BGB §§ 133, 157, 295-296, 615 S. 1; Streitwertkatalog Nr. I. 6; Streitwertkatalog Nr. I. 18
Verfahrensgang
ArbG Kempten (Entscheidung vom 26.05.2023; Aktenzeichen 3 Ca 1085/22) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerinvertreterin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kempten vom 03.05.2023 i. d. F. des Teilabhilfebeschlusses vom 26.05.2023 dahingehend abgeändert, dass der Gegenstandswert für das Verfahren und für den Vergleich auf jeweils 42.000,00 € abgeändert wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Parteien stritten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses auf Grund einer außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 10.02.2023, einer ordentlichen Kündigung vom 16.08.2022 zum 31.03.2023 und einer hilfsweise ordentlich erklärten Kündigung vom 10.02.2023 zum 30.09.2023, um hilfsweise geltend gemachte Weiterbeschäftigung, die Erteilung eines Zeugnisses sowie um Annahmeverzugsansprüche nach Wirksamwerden der außerordentlichen Kündigung. Widerklagend hatte die Beklagte hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, verschiedene Auskunftsansprüche betreffend Besitz und Weiterleitung von Geschäftsunterlagen und Daten (Ziff. 1., 4. und 5.) sowie teilweise deren Herausgabe und Löschung (Ziff. 2. und 3.) geltend gemacht Das monatliche Bruttoeinkommen der Klägerin betrug 4.000,00 €. Im Jahr 2021 war ihr eine variable Vergütung in Höhe von 800,00 € gezahlt worden.
Das Verfahren endete durch in der Kammerverhandlung gerichtlich protokollierten Vergleich vom 02.05.2023. Darin einigten sich die Parteien u.a. auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2023, eine Freistellung bis dahin (Ziff. 3) und die Erteilung eines guten Endzeugnisses (Ziff. 5). Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Vergleichs Bezug genommen (Blatt 388 f. d. A.).
Das Arbeitsgericht Kempten hat mit Beschluss vom 03.05.2023 den Gegenstandswert gem. § 33 RVG für das Verfahren bis zur Erhebung der Widerklage auf 24.000,00 € und danach auf 25.000,00 € auf sowie den überschießenden Vergleichswert aufgrund der Freistellungs- und Zeugnisregelung auf 8.000,- € festgesetzt. Eine Rechtsmittelbelehrungwar dem Beschluss nicht beigefügt. Der Beschluss war den Parteien und Parteivertretern formlos übersandt worden.
Hiergegen legte der Klägervertreter am 15.05.2023 Beschwerde ein. Das monatliche Bruttoeinkommen der Klagepartei habe unter Berücksichtigung der im Jahr 2021 gezahlten Provision durchschnittlich 4.066,67 € betragen. Für jede Kündigung seien jeweils drei Bruttomonatsgehälter anzusetzen, für den Weiterbeschäftigungsantrag und den Antrag auf Zeugniserteilung jeweils ein weiteres Monatsgehalt. Hinzukäme die eingeklagte Vergütung für Februar und März 2023 in Höhe der Klageanträge. Die fünf Widerklageanträge se...