Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmenseinheitlicher Betriebsrat in betriebsratslosem Unternehmen
Leitsatz (amtlich)
Das Verfahren der einstweiligen Verfügung ist bei Geltendmachung von Gestaltungsrechten nicht generell ausgeschlossen. Wegen der im Verhältnis zur Leistungsverfügung nochmals gesteigerten Anforderungen an das Vorliegen eines Verfügungsgrundes kommt das Eilverfahren zur Regelung eines einstweiligen Zustands im Sinne von § 940 ZPO jedoch nur in extrem seltenen Fällen in Betracht.
Die Möglichkeit, in einem bisher betriebsratslosen Unternehmen einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat zu wählen, ist nicht schon dann ausgeschlossen, wenn in einem der Betriebe des Unternehmens ein Wahlvorstand für die Betriebsratswahl im einzelnen Betrieb gebildet ist, sondern erst dann, wenn in einem der Betriebe des Unternehmens ein Betriebsrat existiert, d. h. gewählt ist.
Das Amt des Wahlvorstandes für die Wahl eines Betriebsrats für einen der Betriebe in einem bisher betriebsratslosen Unternehmen endet nicht vor der Bestellung eines Wahlvorstandes für die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats.
Die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats in einem bisher betriebsratslosen Unternehmen kann im Regelfall nur durch einen in einer Unternehmensversammlung gewählten Wahlvorstand betrieben werden.
Betreibt der lediglich für die Wahl eines Betriebsrats in einem der Betriebe eines bisher betriebsratslosen Unternehmen bestellte Wahlvorstand nach Durchführung einer unternehmensweiten Abstimmung gem. § 3 Abs.3 BetrVG die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats, führt dies jedenfalls zur Anfechtbarkeit der Wahl des unternehmenseinheitlichen Betriebsrats, angesichts der unklaren Rechtslage – insbesondere in Bezug auf Verfahrensfragen – aber nicht zu einer offensichtlich nichtigen Wahl.
Normenkette
BetrVG §§ 3, 18-19; ArbGG § 87; ZPO § 940
Verfahrensgang
ArbG München (Beschluss vom 06.07.2007; Aktenzeichen 37 BVGa 26/07) |
Tenor
Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 2. und 3. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 06.07.2007 – 37 BVGa 26/07 – geändert:
Der Antrag auf Eresetzung des Wahlvorstandes wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Beschwerde ist begründet. Der Wahlvorstand zur Durchführung der Betriebsratswahl im Betrieb M. AG in I. ist nicht durch einen neuen Wahlvorstand zu ersetzen.
Dabei kann dahinstehen, ob ein Verfügungsanspruch im Sinne von § 85 Abs. 2 S. 1 und 2 ArbGG i. V. mit § 936 ZPO besteht, ob also die Voraussetzungen für die Ersetzung eines Wahlvorstandes gem. § 18 Abs. 1 BetrVG gegeben sind.
Ebenso kann dahinstehen, ob – wie die Beschwerdeführerin und Beteiligte zu 3. meint – ein Antrag der vorliegenden Art im Verfahren der einstweiligen Verfügung verfolgt werden kann oder nicht. Letzteres ist keine Sonderproblematik der Behandlung von Gestaltungsrechten im Verfahren der einstweiligen Verfügung, sondern Ausfluss der generellen Problematik der sog. Befriedigungsverfügung, die dazu führt, dass an den Verfügungsgrund bei der Durchsetzung von Gestaltungsrechten im Verfahren der einstweiligen Verfügung noch höhere Anforderungen zu stellen sind als die ohnehin sehr hohen Anforderungen bei Leistungsrechten (zur sog. Leistungsverfügung vgl. z. B. Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 940 Rn. 6). Auch in vielen Fällen einer Leistungsverfügung wird im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein irreversibler Zustand geschaffen, z. B. wenn die Leistungspflicht ein Fixgeschäft betrifft oder im Falle eines auf Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers gerichteten Verfügungsantrags. Allerdings führen die anzulegenden hohen Anforderungen dazu, dass ein Verfügungsgrund für die Regelung eines einstweiligen Zustandes im Sinne von § 940 ZPO bei Gestaltungsrechten – nur ein solcher kommt hier in Betracht – nur in extrem seltenen Fällen zu bejahen ist.
Dies gilt auch im vorliegenden Fall:
Zu bezweifeln ist schon, ob der Verfügungsgrund, d. h. die Erforderlichkeit des Erlasses der beantragten einstweiligen Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, in einem Fall wie dem vorliegenden zu bejahen ist, in dem das Abwarten des Ergebnisses einer unternehmensweiten Abstimmung gem. § 3 Abs. 3 BetrVG durch den Wahlvorstand in einem bisher betriebsratslosen Betrieb nur zur Verschiebung des Fortgangs des Wahlverfahrens um einen absehbaren und verhältnismäßig geringen Zeitraum führt. Denn wenn die Arbeitnehmer eines betriebsratslosen Unternehmens mit Stimmenmehrheit die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats beschließen, solange – wie hier – noch kein Betriebsrat besteht (von einer Unzulässigkeit einer solchen Abstimmung bereits dann, wenn im Unternehmen für die Wahl eines Betriebsratsgremiums ein Wahlvorstand bestellt ist, ist im Gesetz nicht die Rede), endet frühestens mit Bestellung eines Wahlvorstandes für die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats in einer Unternehmensversammlung (vgl. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 22. Aufl., § 3 Rn. 98) das Amt de...