Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung. Fehlverhalten während Krankheit
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rechtschutzbedürfnis für eine Klage gegen eine außerordentliche Kündigung entfällt auch im Falle einer rückwirkenden Feststellung der Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers jedenfalls dann nicht, wenn von der Frage der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung andere finanzielle Ansprüche, wie z. B. die Höhe einer Betriebsrente abhängen.
2. Eine außerordentliche Kündigung wegen eines gesundheitswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers während einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ist ungerechtfertigt, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Kündigung schwer geschädigt war und auch ohne ein gesundheitswidriges Verhalten eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ausgeschlossen war.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 28.07.1999; Aktenzeichen 15 Ca 15530/98) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 28.7.1999 (Az.: 15 Ca 15530/98) wie folgt abgeändert: Es wird festgestellt, dass die mit Schreiben vom 21.10.1998 ausgesprochene fristlose Kündigung rechtsunwirksam ist.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Parteien besteht Streit über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die die Beklagte mit Schreiben vom 21.10.1998 gegenüber der Klägerin ausgesprochen hat, sowie über die Bezahlung eines Betrages von DM 14.249,34, den die Beklagte im Wege der Widerklage gegen die Klägerin geltend macht.
Die 1947 geborene, alleinstehende Klägerin ist seit 9.7.1984 bei der Beklagten zuletzt als Sachbearbeiterin in der Abteilung Honorare und Lizenzen beschäftigt. Sie erzielte dabei zuletzt einen monatlichen Bruttoverdienst von DM 5.350,–.
Die Klägerin ist mit einem Grad der Behinderung von 50 % Schwerbehinderte im Sinne des Schwerbehindertengesetzes.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden nach dem beiderseitigen Sachvortrag der Parteien die Tarifverträge für die Beklagte Anwendung. Nach den dort festgelegten Bestimmungen ist die Klägerin ordentlich nicht kündbar.
Die Klägerin war vom 26.8.1996 bis 25.10.1996 arbeitsunfähig krank. Am 22.10.1996 richtete die Beklagte ein Schreiben an die Klägerin (Bl. 30 d.A.), indem es u. a. wie folgt heißt:
…
Es ist immer bedauerlich, wenn jemand aus Krankheitsgründen gehindert ist, seiner Arbeit nachzugehen. Zum einen für die Betroffene selbst, zum anderen für die Kolleginnen, die gezwungen sind, die anfallende Arbeit neben ihren eigenen Aufgaben zusätzlich zu bewältigen.
Ich erfahre nun, dass Ihre Arbeitsunfähigkeit es Ihnen trotzdem ermöglicht hat, in einer Tankstelle tätig zu sein. Da ich nicht nachvollziehen kann, warum sich die Arbeitsunfähigkeit nur auf … beziehen soll, bitte ich Sie umgehend um eine schriftliche Stellungnahme zu diesem Vorfall.
Mit Schreiben vom 24.10.1996 (Bl. 31 d.A.) entgegnete die Klägerin, dass sie sich als Opfer einer Fehlinformation sehe.
Nach einer Krankheitszeit vom 9.3. bis 13.3.1998 war die Klägerin ab 29.6.1998 aufgrund mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Gemeinschaftspraxis … (Bl. 32–33 d.A.) erneut bis 14.8.1998 arbeitsunfähig krank geschrieben. Danach legte die Klägerin zunächst keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor.
Mit Schreiben der Beklagten vom 19.8.1998 (Bl. 34 d.A.) wurde die Klägerin gebeten, in der Personalabteilung der Beklagten am 21.8.1998 zu einem Gespräch zu erscheinen.
Mit Schreiben vom 20.8.1998 (Bl. 35 d.A.) lehnte dies die Klägerin unter Hinweis auf ihren Gesundheitszustand ab.
In einem Schreiben vom 20.8.1998 (Bl. 36 d.A.) verlangte die Beklagte für den Fall, dass die Klägerin reiseunfähig sei, die Vorlage eines ärztlichen Attestes, ansonsten werde sie am 21.8.1998 zu einem Gespräch durch die Beklagte abgeholt.
Zum Gespräch am 21.8.1998 erschien die Klägerin dann unter Benutzung einer Gehhilfe.
Nachdem die Klägerin zunächst durch die orthopädische Gemeinschaftspraxis … am 24.8.1998 weiterhin bis 5.9.1998 und am 7.9.1998 bis 30.9.1998 für arbeitsunfähig befunden wurde, legte die Klägerin der Beklagten eine Bescheinigung der Gemeinschaftspraxis vom 23.9.1998 (Bl. 38 d.A.) vor, in der der Klägerin eine Arbeitsunfähigkeit bis November 1998 attestiert wurde.
In diesem Zeitraum fand am 8.9.1998 eine Untersuchung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen statt, in der ebenfalls eine weitere Arbeitsunfähigkeit der Klägerin festgestellt wurde.
Die Beklagte ließ die Klägerin daraufhin am 28.9. und 29.9.1998 durch eine Detektei überwachen. Diese stellte fest, dass die Klägerin am Montag, den 28.9.1998 morgens gegen 8.13 Uhr ihre Wohnung in … verließ, mit ihrem PKW nach … fuhr, dort in einem Supermarkt gegen 11.00 Uhr einen Präsentationsstand aufbaute, um dort Produkte einer Firma … zu präsentieren. Kurz nach 18.00 Uhr verließ die Klägerin...