Entscheidungsstichwort (Thema)
Einschränkung einer Hinterbliebenenversorgung und Angemessenheitskontrolle. Interessenabwägung bei der Angemessenheitskontrolle. Mindestehedauer in der Versorgungsordnung als mittelbare Diskriminierung wegen des Alters. Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung wegen des Alters
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Einschränkung einer Hinterbliebenenversorgung dergestalt, dass der Arbeitgeber die Zusage auf den Ehepartner beschränkt, mit dem der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Todes mindestens zwölf Monate verheiratet war, unterliegt der Angemessenheitskontrolle des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
2. Einerseits hat der Versorgungsempfänger ein berechtigtes Interesse daran, seinen Ehepartner finanziell zu versorgen. Andererseits hat der Arbeitgeber das berechtigte Interesse, sein mit der Versorgungszusage einhergehendes finanzielles Risiko zu beschränken. Es ist grundsätzlich legitim, sog. Versorgungsehen nicht in den Leistungskatalog einer Hinterbliebenenversorgung aufzunehmen, denn bei der Versorgungsehe ist die Ehe weniger Ausdruck der Nähe der Partner als des Versorgungswunsches.
3. Die Anforderung einer Mindestehedauer in einer Hinterbliebenenversorgung stellt eine mittelbare Diskriminierung wegen das Alters dar. Zwar zielt sie nicht darauf, die Ehepartner vor allem älterer Versorgungsberechtigter von der Hinterbliebenenversorgung auszuschließen. Doch bewirkt sie, dass ältere Rentenberechtigte schlechter behandelt werden als jüngere, da mit fortschreitendem Alter, zu dem die Ehe eingegangen wird, das Risiko steigt, die Mindestehedauer nicht zu erreichen.
4. Um die Altersversorgung als Gesamtsystem sicherzustellen, ist es sinnvoll und angemessen, den unternehmerischen Belangen einer begrenz- und kalkulierbaren Belastung Rechnung zu tragen. Indem § 10 AGG erlaubt, in Versorgungsordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen und damit eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, verfolgt die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten. Es ist also ein legitimes Ziel, angemessene Einschränkungen der Hinterbliebenenversorgung durch eine Klausel zur Mindestehedauer vorzunehmen.
Normenkette
BetrAVG § 1 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 305, 307 Abs. 1, 3 S. 1; AGG §§ 1, 7 Abs. 2, § 10 S. 1; Pensionsvertrag § 4 Nr. 1 Fassung: 1992-12-15, Nr. 2 Buchst. c Fassung: 1992-12-15
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 30.07.2020; Aktenzeichen 22 Ca 14000/19) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 30.07.2020, Az.: 22 Ca 14000/19, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente.
Die Klägerin ist die Witwe des am 10.11.1943 geborenen Herrn E., der vom 01.01.1972 bis 30.11.2006 bei der Beklagten beziehungsweise deren Rechtsvorgängerin, der F., in D-Stadt beschäftigt und mit dem am 15.12.1992 ein Pensionsvertrag geschlossen worden war, der am 01.01.1993 in Kraft trat.
Im Vertrag, hinsichtlich dessen auf Anlage K 1 zur Klage vom 16.12.2019 (Bl. 8 ff. d.A.) Bezug genommen wird, heißt es unter § 4 "Witwen-/Witwerrente":
1. Stirbt der Mitarbeiter, so erhält der Ehepartner, mit dem er zum Zeitpunkt seines Todes in gültiger Ehe verheiratet war, bis an sein Lebensende die Witwen-/Witwerrente.
(...)
2. Ein Anspruch besteht nicht, wenn der Mitarbeiter die Ehe geschlossen hat
a) später als 5 Jahre vor Beginn der Altersrente oder
b) nach Einsetzen der Berufsunfähigkeitsrente oder
c) in den letzten 12 Monaten vor seinem Tode, es sei denn, er ist an den Folgen eines nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder an einer Krankheit gestorben, die erst nach der Eheschließung eingetreten ist.
Herr E. erhielt auf der Grundlage des Pensionsvertrags eine Betriebsrente von zuletzt € 799,17.
Die Ehe der Klägerin und Herrn E. wurde am 05.01.2018 geschlossen. Am 01.05.2018 verstarb der Ehemann. Die Witwe erhält von der Deutschen Rentenversicherung eine große Witwenrente. Die Beklagte hingegen lehnte die Leistung einer Hinterbliebenenrente aus dem Pensionsvertrag ab.
Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin die Zahlung von Witwenrente weiter.
Erstinstanzlich hat sie sich darauf gestützt, § 4 Nr. 2 des Pensionsvertrags stehe dem nicht entgegen: lit a) sei unwirksam, weil die Regelung wegen Alters diskriminiere und nicht angemessen i.S.d. § 10 S. 2 AGG sei, indem sie hinsichtlich des ausschließenden Zeitpunkts nicht an ein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip anknüpfe.
§ 4 Ziff. 2 lit. c) des Vertrags sei wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Die Regelung weiche hinsichtlich der Möglichkeit, eine Versorgerehe zu widerlegen, in unzulässiger Weise von § 46 Abs. 2a SGB VI ab. In ihrem Fall komme diese Divergenz zum Tragen: Die Ehe mit Herrn E. sei nicht aufgrund der Kenntnis der lebensbedrohlichen Erkra...