Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss der Witwenrente im Pensionsvertrag bei Versorgungsehe. Rechtfertigung der durch eine Mindestehedauer entstehenden, mittelbaren Diskriminierung des Versorgungsgläubigers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Schließt ein Pensionsvertrag eine Witwenrente für den Fall einer noch nicht mehr als zwölf Monate bestehenden Ehe aus, ist dies eine Einschränkung zu Lasten des Arbeitnehmers bzw. Versorgungsgläubigers. Diese Einschränkung ist aber nicht unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB, denn es besteht ein begründetes Interesse des Arbeitgebers, sog. "Versorgungsehen" nicht in den Leistungskatalog aufzunehmen. Ein solches Interesse ist grundsätzlich legitim und angemessen, denn in einem solchen Fall ist die Ehe weniger Ausdruck der Nähe der Partner als des Versorgungswunsches.

2. Die Anforderung einer Mindestehedauer im Pensionsvertrag stellt zwar eine mittelbare Diskriminierung des Arbeitnehmers bzw. Versorgungsschuldners wegen des Alters dar, doch ist diese Anforderung nach § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt. Denn es gehört zu den unternehmerischen Belangen des Arbeitgebers, einer begrenzbaren und kalkulierbaren Belastung Rechnung zu tragen. Diese dient nämlich dem Ziel, allen Arbeitnehmern eine tragfähige und angemessene Altersversorgung zu ermöglichen.

 

Normenkette

BetrAVG § 1 Abs. 1 S. 1; BGB § 307; AGG §§ 1, 7 Abs. 2, § 10 S. 1; SGB VI § 46 Abs. 2a; BeamtVG § 19 Abs. 1 S. 2; Pensionsvertrag § 4 Nr. 2c Fassung: 1992-12-15

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 30.07.2020; Aktenzeichen 22 Ca 14000/19)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 30.07.2020, Az.: 22 Ca 14000/19, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente.

Die Klägerin ist die Witwe des am 10.11.1943 geborenen Herrn E., der vom 01.01.1972 bis 30.11.2006 bei der Beklagten beziehungsweise deren Rechtsvorgängerin, der F., in D-Stadt beschäftigt und mit dem am 15.12.1992 ein Pensionsvertrag geschlossen worden war, der am 01.01.1993 in Kraft trat.

Im Vertrag, hinsichtlich dessen auf Anlage K 1 zur Klage vom 16.12.2019 (Bl. 8 ff. d.A.) Bezug genommen wird, heißt es unter § 4 "Witwen-/Witwerrente":

1. Stirbt der Mitarbeiter, so erhält der Ehepartner, mit dem er zum Zeitpunkt seines Todes in gültiger Ehe verheiratet war, bis an sein Lebensende die Witwen-/Witwerrente.

(...)

2. Ein Anspruch besteht nicht, wenn der Mitarbeiter die Ehe geschlossen hat

a) später als 5 Jahre vor Beginn der Altersrente oder

b) nach Einsetzen der Berufsunfähigkeitsrente oder

c) in den letzten 12 Monaten vor seinem Tode, es sei denn, er ist an den Folgen eines nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder an einer Krankheit gestorben, die erst nach der Eheschließung eingetreten ist.

Herr E. erhielt auf der Grundlage des Pensionsvertrags eine Betriebsrente von zuletzt € 799,17.

Die Ehe der Klägerin und Herrn E. wurde am 05.01.2018 geschlossen. Am 01.05.2018 verstarb der Ehemann. Die Witwe erhält von der Deutschen Rentenversicherung eine große Witwenrente. Die Beklagte hingegen lehnte die Leistung einer Hinterbliebenenrente aus dem Pensionsvertrag ab.

Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin die Zahlung von Witwenrente weiter.

Erstinstanzlich hat sie sich darauf gestützt, § 4 Nr. 2 des Pensionsvertrags stehe dem nicht entgegen: lit a) sei unwirksam, weil die Regelung wegen Alters diskriminiere und nicht angemessen i.S.d. § 10 S. 2 AGG sei, indem sie hinsichtlich des ausschließenden Zeitpunkts nicht an ein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip anknüpfe.

§ 4 Ziff. 2 lit. c) des Vertrags sei wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Die Regelung weiche hinsichtlich der Möglichkeit, eine Versorgerehe zu widerlegen, in unzulässiger Weise von § 46 Abs. 2a SGB VI ab. In ihrem Fall komme diese Divergenz zum Tragen: Die Ehe mit Herrn E. sei nicht aufgrund der Kenntnis der lebensbedrohlichen Erkrankung, sondern im Moment ihrer Besserung geschlossen worden.

Die Klägerin hat daher vor dem Arbeitsgericht beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin rückständige Hinterbliebenenrente für die Monate Juni 2019 bis Dezember 2019 in Höhe von insgesamt 3.556,51 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin bis zum Zeitpunkt ihres Todes eine monatliche Hinterbliebenenrente in Höhe von 479,50 € brutto spätestens am Ende eines Kalendermonats, beginnend ab dem 01.01.2020, zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin rückständige Hinterbliebenenrente für die Monate Juni 2018 bis Mai 2019 in Höhe von insgesamt 5.754,02 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat

Klageabweisung

beantragt.

Sie hat einen Anspruch der Klägerin durch § 4 Nr. 2 des Pensionsvertrags ausgeschlos...

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