rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung des Betriebsrats. Sachkenntnis eines Mitglieds
Leitsatz (amtlich)
Zieht der Arbeitgeber bei der Ermittlung des Kündigungssachverhalts ein (einfaches) Betriebsratsmitglied hinzu, sind dessen Kenntnisse dem Wissen des Betriebsrats nur dann zuzurechnen, wenn es sie vor oder bei Einleitung des Anhörungsverfahrens dem Vorsitzenden des Betriebsrats, gegebenenfalls seinem Stellvertreter, oder dem Betriebsratsgremium mitgeteilt hat.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 01.10.1987; Aktenzeichen 12 Ca 6661/87) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 1.10.1987 – 12 Ca 6661/87 – wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.
Tatbestand
Der 48 Jahre alte Kläger ist seit 1981 bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen als Fotofachverkäufer beschäftigt. Nach Abmahnungen am 21.7.1986 und 6.2.1987 wegen Trunkenheit am Arbeitsplatz – den Erhalt der zweiten Abmahnung bestreitet der Kläger – sprach die Beklagte am 22.5.1987 wegen einer angeblichen weiteren Trunkenheit des Klägers am 21.5.1987 eine außerordentliche Kündigung zum 23.5.1987 aus. Zu diesem Zeitpunkt war eine ordentliche Kündigung nach § 15 Abs. 3 KSchG ausgeschlossen.
Der Kläger bestreitet, am 21.5.1987 im angetrunkenen Zustand am Arbeitsplatz gewesen zu sein. Er habe in der Nacht starke Schmerzen gehabt, Tabletten eingenommen und nicht ausreichend Schlaf gefunden. Auch am Tage habe er wegen der Schmerzen weitere Tabletten eingenommen, so daß seine persönliche Verfassung beeinträchtigt gewesen sei. Von einer Trunkenheit könne keine Rede sein, er sei vielmehr arbeitsunfähig gewesen, was sein Arzt auch am Abend des gleichen Tages bestätigt habe. Für die Kündigung liege daher kein ausreichender Grund vor, auch sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden.
Auf seine Kündigungsschutzklage vom 2.6.1987 hin, mit der er auch die Weiterbeschäftigung über den 23.5.1987 hinaus begehrt, hat das Arbeitsgericht München mit Urteil vom 1.10.1987, auf das wegen des Sachvortrags der Parteien im ersten Rechtszug, der von ihnen gestellten Anträge sowie wegen der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts Bezug genommen wird, wie folgt erkannt:
- Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 22.5.1987 zum 23.5.1987 nicht aufgelöst wird, sondern über den 23.5.1987 hinaus fortbesteht.
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger ab 2.10.1987 weiterzubeschäftigen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird auf DM 10.575,– festgesetzt.
Gegen dieses, der Beklagten am 26.11.1987 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung vom 18.12.1987, die am 21.12.1987 bei Gericht einging und innerhalb der bis 18.2.1988 erstreckten Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß begründet wurde.
Die Beklagte wiederholt im wesentlichen ihren Sachvortrag erster Instanz hinsichtlich der Trunkenheiten des Klägers am Arbeitsplatz. Sie behauptet, der Betriebsablauf in der Fotoabteilung sei erheblich gestört gewesen, da der Kläger keine Kundenberatung und keine Verkaufsgespräche mehr durchführen konnte. Ein betrunkener Fachverkäufer erbringe nicht nur keine Arbeitsleistung, sondern beeinträchtige und schädige das Image der gesamten Firma. Die Beklagte ist der Auffassung, daß ihr unter diesen Umständen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht tragbar und nicht zumutbar gewesen sei. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden durch schriftlichen Antrag auf Zustimmung zur fristlosen Kündigung vom 21.5.1987. Ober die vorangegangenen Verfehlungen und über den aktuellen Kündigungsgrund habe der Betriebsrat darüberhinaus noch eigene Kenntnis gehabt, da die Betriebsrätin … zu der Untersuchung des Vorfalles vom 21.5.1987 hinzugezogen wurde. Eine besondere Funktion habe das Betriebsratsmitglied … im Betriebsrat nicht. Ihre Zuziehung beruhe auf der Tatsache, daß sie in der Nähe beschäftigt war.
Die Beklagte beantragt:
- Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 1.10.1987 – Az.: 12 Ca 6661/87 – wird aufgehoben.
- Die Klage wird abgewiesen.
- Der Kläger und Berufungsbeklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bestreitet weiterhin die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats und weist darauf hin, daß im Betrieb der Beklagten kein Alkoholverbot bestehe. Im Gegenteil werde in der Betriebskantine sogar Alkohol ausgeschenkt. Eine etwa vorhandene „Fahne” könne deshalb eine Kündigung nicht begründen. Wenn er am 21.5.1987 angeblich schwankend und lallend ein Kundengespräch durchgeführt habe, beruhe dies allein auf der Übermüdung und dem vorangegangenen Einnehmen von Tabletten.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 8.2.1988, die Berufungserwiderungsschrift von 16.2.1988 sowie auf den Schriftsatz des Klägers vom 4.3.1988 und die Sitzungsniederschrift vom 11.5.1988 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nac...