Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame außerordentliche Kündigung einer Krankenschwester im Intensivbereich wegen Alkoholerkrankung bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur negative Zukunftsprognose
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Alkoholkrankheit des Arbeitnehmers ist nicht als wichtiger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB ungeeignet. Ob Gründe für eine derartige außerordentliche Kündigung vorliegen, ist, wie bei einer ordentlichen Kündigung, in den drei Stufen negative Zukunftsprognose, Beeinträchtigung betrieblicher Interessen und Interessenabwägung zu prüfen. Für eine außerordentliche Kündigung ist auf allen Prüfungsstufen der besondere Maßstab des § 626 Abs. 1 BGB zu beachten.
2. Zwar sind bei einer alkoholbedingten Suchtkrankheit geringere Anforderungen an die negative Zukunftsprognose zu stellen. Wenn der Arbeitnehmer weiterhin therapiebereit ist, gibt es aber keinen Erfahrungssatz, dass der erste Rückfall nach einer zunächst erfolgreichen Entwöhnungskur und längerer Abstinenz einen endgültigen Fehlschlag jeglicher Alkoholtherapie für die Zukunft bedeutet.
Normenkette
BGB §§ 626, 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 14.08.2013; Aktenzeichen 22 Ca 11596/12) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 14.08.2013 - Az. 22 Ca 11596/12 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von fünf Kündigungen.
Die Beklagte betreibt das Kommunale Krankenhaus für den Landkreis A-Stadt. Sie beschäftigt rund 800 Mitarbeiter. Die am 0.0.1961 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit Herbst 1989 als Krankenschwester beschäftigt. Sie wurde von Anfang an im Intensivbereich eingesetzt. Zuletzt versah die Klägerin ihre Tätigkeit in der Herzkatheterabteilung und auch in der Notaufnahme. Diese Tätigkeit ist mit Bereitschaftsdiensten an bis zu vier Tagen verbunden. Ihre monatliche Bruttovergütung lag zuletzt durchschnittlich bei 0,- €. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin finden die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst Anwendung.
Die Klägerin ist seit längerer Zeit alkoholkrank.
Am 18.05.2010 erschien die Klägerin alkoholisiert zu ihrem Einsatz im Herzkatheterlabor. In einem Personalgespräch am 19.05.2010 gestand die Klägerin dies ein. Die Beklagte mahnte die Klägerin deshalb mit Schreiben vom 25.05.2010 ab (Anlage B 1, Bl. 70 d. A.). Mit weiterem Schreiben vom 25.05.2010 (Anlage B 3, Bl. 147 d. A.) bestätigte die Beklagte die Kenntnisnahme eines ärztlichen Attestes vom 20.05.2010 und forderte die Klägerin auf, zeitnah in regelmäßigen Abständen über "ihre geplanten Maßnahmen bzgl. der Thematik zu berichten". Der Klägerin wurde Unterstützung "im Rahmen unserer Möglichkeiten" angeboten.
In einer weiteren Abmahnung vom 28.09.2010 (Anlage B 2, Bl. 71 d. A.) wurde der Klägerin vorgehalten, am 24.09.2010 alkoholisiert zum Dienst erschienen zu sein. Hierzu fand ein Gespräch beim Personalleiter der Beklagten statt und die Klägerin unterschrieb die Abmahnung.
Von Ende Dezember 2010 bis Anfang Februar 2011 unterzog sich die Klägerin einer stationären Langzeittherapie. Im Anschluss nahm die Klägerin an wöchentlichen Gruppen- bzw. Einzeltherapien teil.
Am Sonntag, den 16.09.2012 wurde die Klägerin wegen der Operation eines Patienten mit Herzinfarkt aus der Rufbereitschaft angefordert. Nachdem man sie zunächst nicht erreicht hatte und eine Kollegin der Klägerin, die frei hatte, auf Bitten der Beklagten sich bereit erklärte, außerplanmäßig in die Klinik zu kommen, erschien die Klägerin mit "Alkoholfahne", Sonnenbrille, einem verkehrt herum angezogenen Kittel, rutschender Hose, einem wackeligen Gangbild und lallender Sprache. Die Klägerin wurde nach Hause geschickt. Am 17.09.2012 bat die Klägerin um einen Gesprächstermin mit dem Pflegedirektor der Beklagten und dessen Stellvertreterin, bestätigte, dass sie am Vortag vollkommen betrunken zum Dienst erschienen war, teilte mit, dass sie sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern könne, bedauerte den Vorfall und entschuldigte sich. In einem weiteren Personalgespräch vom 18.09.2012, an dem auch der Betriebsratsvorsitzende teilnahm, bestätigte die Klägerin erneut, dass sie stark alkoholisiert am Arbeitsplatz erschienen sei.
Mit Schreiben vom 18.09.2012 informierte die Beklagte den Betriebsrat darüber, dass die Klägerin "fristlos und ordentlich gekündigt" werden solle. Dem Schreiben waren die beiden Abmahnungen aus dem Jahr 2010 beigefügt (wegen des Inhalts der schriftlichen Anhörung im Einzelnen wird auf Anlage B 7, Bl. 126 f. d. A., Bezug genommen). Darüber hinaus wurde der Betriebsratsvorsitzende durch den Personalleiter der Beklagten mündlich unterrichtet. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung noch am 18.09.2012 zu.
Mit Schreiben vom 21.09.2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos, hilfsweise ordentlich (Anlage K 1, Bl. 5 d. A.). Mit Schriftsatz vom 03.10.2012 erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage und ließ dab...