Entscheidungsstichwort (Thema)
Entbindung. Schwangerschaftsabbruch. medizinische Indikation
Leitsatz (amtlich)
Eine Entbindung im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG liegt – negativ – auch dann nicht vor, wenn die Schwangerschaft wegen einer medizinischen Indikation – wie auch immer – abgebrochen und daraufhin – dem Zweck des Schwangerschaftsabbruchs entsprechend – ein totes Kind geboren wird.
Das gilt auch in den in § 29 Abs. 2 PStV geregelten Fällen der Geburt eines toten Kindes mit einem Gewicht von mehr als 500 g.
Normenkette
MuSchG § 9 Abs. 1 S. 1; PStV § 19 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 29.01.2004; Aktenzeichen 9 Ca 5556/03) |
Nachgehend
Tenor
1.Die Berufung der Klägerin gegen dasUrteil desArbeitsgerichts München vom29.01.2004 – 9 Ca 5556/03 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2.Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den von der Klägerin beanspruchten Sonderkündigungsschutz gemäß § 9 MuSchG.
Die Klägerin wurde nach Maßgabe des Arbeitsvertrags vom 11.07.2002 ab 15.09.2002 in der Rechtsabteilung der Beklagten beschäftigt.
Bei Beginn dieser Beschäftigung war die Klägerin schwanger. Entbindungstermin sollte der 01.05.2003 sein.
Am 19.12.2002 – in der 22. Schwangerschaftswoche – wurde anlässlich einer Vorsorgeuntersuchung festgestellt, dass die Nieren des ungeborenen Kindes infolge des sog. Potter-Syndroms nicht ausreichend funktionsfähig waren und das Kind deswegen höchstwahrscheinlich noch während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt sterben würde. Aus diesem Grunde wurde die Schwangerschaft – medizinisch indiziert – abgebrochen. Am 26.12.2002 wurden medikamentös Wehen eingeleitet. Am 28.12.2002 brachte die Klägerin ein totes Kind zur Welt. In der Todesbescheinigung vom 28.12.2002 sind ein natürlicher Tod und ein Gewicht der Leibesfrucht von 600 g angegeben.
Per E-Mail vom 30.12.2002 unterrichtete die Klägerin die Beklagte über die Entscheidung, „die Schwangerschaft abzubrechen”, und über den Tod ihres Kindes.
Die Techniker Krankenkasse anerkannte den Anspruch der Klägerin auf Mutterschutz, während die Beklagte diesen Anspruch in Abrede stellte.
Am 18.03.2003 wurden der Klägerin vom Standesamt München eine Geburtsurkunde über die Totgeburt ihres Kindes und eine Geburtsbescheinigung für Mutterschaftshilfe ausgestellt.
Nach dem Scheitern von Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 05.03.2003 zum 30.04.2004.
Die Klägerin hat klageweise geltend gemacht, dass diese Kündigung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unzulässig sei, weil es sich bei der Geburt ihres toten Kindes um eine Totgeburt iSv. § 29 Abs. 2 PStV und damit trotz des – medizinisch indizierten – Schwangerschaftsabbruchs um eine Entbindung iSd. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG gehandelt habe.
Das Arbeitsgericht hat diese Klage wegen des Schwangerschaftsabbruchs mangels des Sonderkündigungsschutzes iSd. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG abgewiesen. Im Übrigen wird – auch hinsichtlich des Sach- und Rechtsvortrags der Parteien im ersten Rechtszug – auf dieses Urteil Bezug genommen.
Die Klägerin hat gegen diese Urteil Berufung eingelegt und beruft sich weiterhin auf den Sonderkündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.
Die Klägerin beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils und die Feststellung, dass die Kündigung vom 05.03.2003 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat.
Die Beklagte hält die Berufung wegen des Schwangerschaftsabbruchs für unschlüssig.
Hinsichtlich des sonstigen Sach- und Rechtsvortrags der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die Berufungsbegründung vom 13.04.2004, die Berufungsbeantwortung vom 14.05.2004 und den Schriftsatz der Klägerin vom 23.06.2004 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Arbeitsgericht hat der Klägerin zu Recht den Sonderkündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG mangels einer Entbindung im Sinne dieser Vorschrift versagt.
Eine Entbindung im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG liegt – negativ – auch dann nicht vor, wenn die Schwangerschaft wegen einer medizinischen Indikation – wie auch immer – abgebrochen und daraufhin – dem Zweck des Schwangerschaftsabbruchs entsprechend – ein totes Kind geboren wird.
Für diese Auslegung spricht schon der Wortlaut des Tatbestandsmerkmals der Entbindung, weil nach dem üblichen Sprachgebrauch, zwischen einer Entbindung, die typischerweise auf die Geburt eines lebenden Kindes gerichtet ist, und einem Schwangerschaftsabbruch, der auf die Tötung eines ungeborenen Kindes abzielt, unterschieden wird, und diese Unterscheidung auch der etwa in § 3 Abs. 2 EFZG und in § 218 StGB verwendeten Terminologie des Schwangerschaftsabbruchs entspricht.
Systematische Auslegungsgesichtspunkte führen zu keinem anderen Auslegungsergebnis. Das Mutterschutzgesetz selbst enthält gar keine entsprechenden Gesichtspunkte. Die von der Klägerin ins Feld gef...