Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenmächtiger Urlaubsantritt als Grund für eine fristlose Kündigung. Interessenabwägung und "Ultima ratio"-Prinzip
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit einem eigenmächtigen Urlaubsantritt des Arbeitnehmers liegt ein Verhalten vor, das "an sich" geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung darzustellen. Tritt der Arbeitnehmer eigenmächtig einen vom Arbeitgeber nicht genehmigten Urlaub an, so verletzt er damit in gravierender Weise seine arbeitsvertragliche Hauptpflicht zur Arbeitsleistung.
2. Eine fristlose Kündigung muss sich am "Ultima ratio"-Prinzip messen lassen. Ob die Weiterbeschäftigung tatsächlich auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung der beiderseitigen Interessen festzustellen. Dabei ist zu beachten, dass eine ordentliche Kündigung oder eine Versetzung mildere Mittel als die fristlose Kündigung sind. Auch ist in der Regel eine vorherige Abmahnung erforderlich, wenn erkennbar ist, dass diese eine Verhaltensänderung in der Zukunft erwarten lässt.
Normenkette
BGB § 622 Abs. 1, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2, § 10 Abs. 1; BUrlG § 7; GewO § 109 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 11.11.2020; Aktenzeichen 34 Ca 633/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 11.11.2020 - 34 Ca 633/20 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 02.01.2020 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 719,65 € brutto zu zahlen.
4. Die Klage im Übrigen wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu 60/100 und die Klägerin zu 40/100 zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen und einer weiteren ordentlichen Kündigung, Weiterbeschäftigung, Zeugniserteilung und die Zahlung einer Provision.
Die 0000 geborene und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 05.02.2018 als Mitarbeiterin im Außendienst zu einer monatlichen Bruttovergütung von 3.750,00 € beschäftigt. Nach Nr. 4 des Arbeitsvertrags vom 25.01.2018 hat sie Anspruch auf einen Bonus, der für 2019 im Bonusplan vom 27.04.2019 näher bestimmt worden ist. Für dessen Regelungen wird auf die Anlage zum Schriftsatz vom 16.04.2020 Bezug genommen (= Bl. 87 d. A.). Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Vollzeitarbeitnehmer.
In Nr. 5 des Arbeitsvertrages ist der Urlaub wie folgt geregelt:
"5. Urlaub
Der Mitarbeiter hat Anspruch auf einen jährlichen Erholungsurlaub von 26 Arbeitstagen, unter Berücksichtigung einer Arbeitswoche von Montag - Freitag. Davon sind 20 Arbeitstage gesetzlicher Mindesturlaub, sechs weitere Arbeitstage vom Arbeitgeber gewährter Zusatzurlaub.
Der Urlaub ist in Absprache mit der Geschäftsleitung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der weiteren Mitarbeiter zu nehmen; er ist rechtzeitig, spätestens jedoch einen Monat vor Urlaubsantritt, bei der Geschäftsleitung zu beantragen.
Der Arbeitgeber ist berechtigt, Betriebsurlaub anzuordnen; die betreffenden Tage sind unter Anrechnung auf den Erholungsurlaub arbeitsfrei. Mit Ausnahme angeordneten Betriebsurlaubs kann vor Ablauf der Probezeit kein Urlaub gewährt werden. Soweit der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nicht unterschritten wird, hat der Mitarbeiter im Eintritts-/Austrittsjahr für jeden vollen Beschäftigungsmonat einen Anspruch auf 1/12 des Jahresurlaubs.
..."
Am 21.01.2019 erließ die Beklagte eine Firmen-Policy für Mitarbeiter im Vertriebsaußendienst, die u.a. folgende Regelung enthält:
"Urlaub
Drei Wochen des Jahresurlaubes müssen in den Sommerferien des jeweiligen Verkaufsgebietes genommen werden. Dabei gilt das Gebiet (Bundesland) als Verkaufsgebiet, in dem die meisten Aktivitäten des Außendienstmitarbeiters liegen. Ausnahmen von dieser Regelung sind vorher mit der Vertriebsleitung zu besprechen und durch diese sowie durch die Geschäftsleitung zu genehmigen.
Für die Tage zwischen Hl. Abend und Silvester soll Urlaub genommen werden. Bitte die nötigen Urlaubstage dafür einplanen und beachten, dass für Hl. Abend und Silvester nur jeweils ein halber Urlaubstag benötigt wird. Ausnahmen von dieser Regelung müssen vorher besprochen und schriftlich genehmigt werden.
Urlaubsanträge bitte per Email mit Angabe der Urlaubsvertretung an den VL zur Genehmigung senden."
Unter der Unterschrift des Geschäftsführers der Beklagten hieß es:
"Diese Firmen-Policy ist einzuhalten. Abweichungen sind vorher zu kommunizieren und ggf. genehmigen zu lassen."
Am 30.01.2019 bestätigte die Klägerin den Erhalt der Firmen-Policy.
In 2019 beantragte die Klägerin mehrfach Urlaub in der Weise, dass sie aus dem System einen Urlaubsa...