Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksame Differenzierungsklausel zugunsten von Gewerkschaftsmitgliedern in Transfer- und Sozialtarifvertrag. Unbegründete Zahlungsklage der Arbeitnehmerin bei fehlendem Beitrittsdruck aufgrund Stichtagsregelung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die negative Koalitionsfreiheit umfasst insbesondere das Recht einzelner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sich nicht zu Koalitionen zusammenzuschließen, bestehenden Koalitionen fernzubleiben und bei bereits erfolgtem Eintritt wieder austreten zu dürfen.

2. Die negative Koalitionsfreiheit wird nicht schon dadurch verletzt, dass von einer tariflichen Regelung ein Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt ausgeht. Eine Verletzung setzt vielmehr voraus, dass nichtorganisierte Beschäftigte einem Zwang oder einem unzumutbaren Druck zum Beitritt ausgesetzt werden.

3. Einfache Differenzierungsklauseln, die als zusätzliches Tatbestandsmerkmal für das Entstehen eines Anspruchs die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft voraussetzen, sind nicht wegen Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit unwirksam, da sich zum einen die Normsetzungsmacht der Tarifvertragsparteien ohnehin nur auf die Mitglieder beschränkt und zum anderen eine einfache Differenzierungsklausel auch die Handlungs- und die Vertragsfreiheit der Arbeitgeberin nicht einschränkt, weil es ihr unbenommen bleibt, ihre vertraglichen Beziehungen zu den nichtorganisierten Beschäftigten frei zu gestalten und durchzuführen.

4. Soweit nichtorganisierte Beschäftigte durch einen Tarifvertrag in irgendeiner Form betroffen werden, beruht das nicht auf der normativen Wirkung des Tarifvertrages sondern allein aufgrund etwa durch Bezugnahmeklauseln gestalteter Arbeitsvertragsbeziehungen zwischen den jeweiligen Beschäftigten und ihrer Arbeitgeberin.

5. Besteht aufgrund einer Stichtagsregelung keine Möglichkeit eines späteren Beitritts, um in den Genuss tarifvertraglicher Leistungen zu gelangen, wird durch eine Differenzierungsklausel auch kein Beitrittsdruck auf Nichtgewerkschaftsmitglieder ausgeübt.

6. Die Höhe der Leistungen allein schafft keinen Beitrittsdruck, wenn die Leistungen auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt und kein echtes Entgelt für erbrachte Gegenleistung darstellen sondern der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses dienen; das System der Tarifkoalitionen beinhaltet von vornherein, das es den Tarifvertragsparteien überlassen bleibt, für Gewerkschaftsmitglieder Vorteile zu vereinbaren.

 

Normenkette

GG Art. 3, 9, 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; BGB §§ 242, 611 Abs. 1; BetrVG § 75

 

Verfahrensgang

ArbG München (Aktenzeichen 12 Ca 9987/12)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München (Az.: 12 Ca 9987/12) vom 25.03.2013 wird zurückgewiesen. Die erstmalig in der Berufungsinstanz gestellten Anträge werden abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche wegen zu niedrig bezahlter Entgelte bzw. Abfindungszahlungen sowie Zahlung einer "Sprinterprämie" im Zusammenhang mit einem Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag.

Die Klagepartei war bei der Beklagten zu 1) zuletzt mit einem monatlichen Bruttoentgelt von € 4177,20.- beschäftigt. Die Klagepartei war und ist nicht Mitglied einer Gewerkschaft.

Die Beklagte zu 2) ist eine im Rahmen von Personalabbaumaßnahmen gebildete Transfergesellschaft.

Aufgrund einer erheblichen Verlustsituation bei der Beklagten zu 1) war eine Standortschließung geplant. Im Zuge dessen erklärte sich eine Vielzahl von Mitarbeitern bereit, in eine Transfergesellschaft, die Beklagte zu 2), zu wechseln. Wegen der geplanten Maßnahmen fanden Verhandlungen zwischen der Beklagten zu 1) und der IG Metall statt, welche dazu führten, dass zwischen diesen Beteiligten unter dem 04.04.2012 ein "Transfer- und Sozialtarifvertrag" abgeschlossen wurde.

In der Präambel ist zum Zweck dieses Tarifvertrages folgendes enthalten:

"(1) Infolge der Restrukturierungsmaßnahmen, die im Interessenausgleich vom 04.04.2012 beschrieben sind, entsteht die Notwendigkeit, die wirtschaftlichen und sozialen Nachteile, die für die Beschäftigten entstehen, abzumildern.

(2) Dieser Tarifvertrag soll die Bedingungen dafür schaffen, dass durch die Schaffung einer Auffangstruktur die von Entlassung bedrohten Beschäftigten der C. bei ihrer notwendigen beruflichen Neuorientierung unterstützt werden.

Zu diesem Zweck soll die Transfergesellschaft der F. AG mit der Einrichtung einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit (BeE) gem. § 216b SGB III beauftragt werden. Den von der Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten soll nach Maßgabe dieses Tarifvertrages der Abschluss von Transferarbeitsverhältnissen angeboten werden."

Der Geltungsbereich dieses Tarifvertrages sah vor, dass der Tarifvertrag räumlich für den Betrieb der Beklagten zu 1) B-Stadt und persönlich für alle Beschäftigten des Betriebes C-Straße in B-Stadt gelten sollte, die die individuellen Voraussetzungen für den Anspruch auf Trans...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge