Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame weitere Befristung eines bereits mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze befristeten Arbeitsverhältnisses. Feststellungsklage eines Wirtschaftsprüfers bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zum Sachgrund der erneuten Befristung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Regelungen über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund von Altersgrenzen unterliegen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle und bedürfen eines sie rechtfertigenden Sachgrunds im Sinne des § 14 Abs. 1 TzBfG.

2. Eine auf einzelvertragliche oder kollektivrechtliche Regelungen beruhende Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichen der Regelaltersgrenze kann sachlich gerechtfertigt sein; dabei sind die Interessen der Arbeitsvertragsparteien an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einerseits und seiner Beendigung andererseits gegeneinander abzuwägen.

3. Der Wunsch auf dauerhafte Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses über die gesetzliche Regelaltersgrenze hinaus ist ein legitimes wirtschaftliches und ideelles Anliegen des Arbeitnehmers, da ein Arbeitsverhältnis die wirtschaftliche Existenzgrundlage sichert und die Möglichkeit zu beruflicher Selbstverwirklichung bietet; dem Fortsetzungsverlangen eines mit Erreichen der Regelaltersgrenze wirtschaftlich abgesicherten Arbeitnehmers, der bereits ein langes Berufsleben hinter sich hat und dessen Interesse an der Fortführung seiner beruflichen Tätigkeit nur noch für eine begrenzte Zeit besteht, steht das Bedürfnis der Arbeitgeberin nach einer sachgerechten und berechenbaren Personal- und Nachwuchsplanung gegenüber, dem jedenfalls dann Vorrang vor dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers zu gewähren ist, wenn der Arbeitnehmer durch den Bezug der Regelaltersgrenze wirtschaftlich abgesichert ist.

4. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Altersgrenzenregelung ist verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn an die Stelle der Arbeitsvergütung der dauerhafte Bezug von Leistungen aus einer Altersversorgung tritt, so dass die Anbindung an eine rentenrechtliche Versorgung bei Ausscheiden durch eine Altersgrenze Bestandteil des Sachgrunds ist; die Wirksamkeit der Befristung ist jedoch nicht von der konkreten wirtschaftlichen Absicherung des Arbeitnehmers bei Erreichung der Altersgrenze abhängig.

5. Eine auf einzelvertragliche oder kollektivrechtliche Regelungen beruhende Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichen der Regelaltersgrenze steht auch das Verbot der Altersdiskriminierung nach § 7 Abs. 1 und § 1 AGG nicht entgegen; die unterschiedliche Behandlung ist nach § 10 Satz 1, Satz 2 und Satz 3 Nr. 5 AGG gerechtfertigt.

6. Die Regelung des § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG steht wegen des mit ihr verfolgten arbeits- und beschäftigungspolitischen Ziels im Einklang mit Unionsrecht; die Nutzung der Ermächtigung von § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG muss allerdings ebenfalls in angemessener und erforderlicher Weise ein legitimes Ziel im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 78/2000/EG vom 27.11.2000 verfolgen.

7. Haben die Arbeitsvertragsparteien bereits eine bestimmte Altersgrenze für die Befristung des Arbeitsverhältnisses zu einem früheren Zeitpunkt festgelegt mit der Folge, dass damit eine hinreichende Planungssicherheit für die Beendigung des Vertragsverhältnisses seitens der Arbeitgeberin gegeben ist und will die Arbeitgeberin dennoch im Nachhinein die bereits festgelegte Altersgrenze für die Befristung des Arbeitsverhältnisses nochmals herunter fahren, muss für eine weitere nachträgliche Reduzierung dieser Grenze der sie rechtfertigende Sachgrund ganz erheblich den Sachgrund übersteigen, der regelmäßig für die Vereinbarung einer Altersgrenze erforderlich ist.

 

Normenkette

TzBfG § 14 Abs. 1; AGG §§ 1, 7 Abs. 1, § 10 Sätze 1-2, 3 Nr. 5; EG-RL 78/2000 Art. 6 Abs. 1 Fassung: 2000-11-27

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 06.08.2014; Aktenzeichen 34 Ca 15427/13)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 06.08.2014 - 34 Ca 15427/13 - abgeändert.

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auf Grund der Befristung gemäß Ziffer 4 der Vertragsänderung vom 19.09.2008 nicht zum 28.02.2014 beendet worden ist.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer nachträglichen Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.01.1985 als Wirtschaftsprüfer tätig und bezog zuletzt als Leiter der Niederlassung A. ein festes Jahresgehalt in Höhe von 210.000,- € brutto sowie einer Garantieprovision von 100.000,- € brutto. Er war von der Sozialversicherungspflicht befreit und Mitglied des Versorgungswerks der Bayerischen Rechtsanwaltskammer, bei der ab Vollendung des 62. Lebensjahres ein Anspruch auf Altersversorgung besteht. Weiter stand dem Kläger beim Ausscheiden bei der Beklagten ein Anspruch auf eine betriebliche Altersver...

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