Entscheidungsstichwort (Thema)

Beurteilungsspielraum und Einschätzungsprärogative der Betriebsparteien bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen. Betriebsverfassungsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Betriebsparteien haben ebenso wie andere Normgeber einen Beurteilungsspielraum und eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen und Folgen der von ihnen gesetzten Regeln. Das gilt auch für eine freiwillige Betriebsvereinbarung gem. § 88 BetrVG, in der die Betriebsparteien ergänzend zu einem Sozialplan Regeln über den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen treffen.

2. Die Betriebsparteien müssen beim Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten. Regeln sie dabei im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung eine "Entscheidungsprämie" in unterschiedlicher Höhe für unterschiedliche Personenkreise, müssen sie dafür sachliche und nachvollziehbare Gründe darlegen, die nach Sinn und Zweck der Betriebsvereinbarung die vorgenommene Differenzierung rechtfertigen.

 

Normenkette

BetrVG § 75 Abs. 1; BV Freiwilligenprogramm Nr. IV 2. Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 20.11.2019; Aktenzeichen 7 Ca 4115/19)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 20.11.2019 - 7 Ca 4115/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe einer sog. Entscheidungsprämie.

Die Klagepartei war bei der Beklagten seit dem 01.01.2001 als Außendienstmitarbeiter in der Funktion eines Partnerverkäufers tätig. Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in C-Stadt und Teil der C-Gruppe ("C-Gruppe"). Die C-Gruppe hat im Rahmen des Programms "SSYtoLead" beschlossen, den Vertrieb ihrer Produkte zum 30.06.2018 einzustellen und zukünftig exklusiv der Z.-AG ("Z.") zu übertragen. Die Beklagte beendete mehrere Hundert Arbeitsverhältnisse mit Außendienstmitarbeitern, die nicht bereit waren, einen Handelsvertretervertrag mit der Z. einzugehen.

Zum Ausgleich bzw. zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern durch die Maßnahmen des Programms SSYtoLead entstanden, wurde ein Sozialplan abgeschlossen, für dessen Inhalt auf die Anlage B2 (Bl. 41 ff. d.A.) Bezug genommen wird. Des Weiteren kam es zum Abschluss der Konzernbetriebsvereinbarung "Freiwilligenprogramm zum Programm SSY to Lead für den Außendienst und den dezentralen Innendienst" (Anlage B1; im Folgenden: BV Freiwilligenprogramm), die auszugsweise wie folgt lautet:

"Präambel

Ziel des Programms "Simpler, Smarter for You to Lead" ("SSYtoLead") ist aus Sicht der Gesellschaften die Stärkung der operativen Performance und die Erhöhung der langfristigen Wertschöpfung der Y. in Deutschland. Hierdurch sollen die Grundlagen dafür gelegt werden, dass sie in einem sehr herausfordernden Marktumfeld nicht nur bestehen, sondern ihre Position nachhaltig ausbauen und Wachstum generieren kann.

Die hierzu im Rahmen des Programms SSYtoLead durch die C-Gruppe geplanten Maßnahmen ("Maßnahmen") können für die Arbeitnehmer der Gesellschaften personalwirtschaftliche Folgen mit sich bringen.

Es besteht Einigkeit zwischen den Parteien, dass die personalwirtschaftlichen Maßnahmen gegenüber den Arbeitnehmern vorrangig sozialverträglich sowie einvernehmlich umgesetzt werden und gleichzeitig das unternehmerische Interesse der Gesellschaften an einem geordneten Betriebsablauf sichergestellt wird. Deshalb steht diese freiwillige Betriebsvereinbarung (nachstehend "Vereinbarung" genannt) neben Verfahrensregelungen Leistungen für die Arbeitnehmer vor, deren Arbeitsverhältnis wegen der Maßnahmen aufgrund Vereinbarung endet. Hierdurch soll den Arbeitnehmern die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bzw. der Wechsel auf einen anderen Arbeitsplatz erleichtert werden.

Die Parteien wollen mit den Regelungen dieser Vereinbarung (dem "Freiwilligenprogramm") einen Beitrag zur Befriedigung widerstreitender Interessen im Zusammenhang mit den geplanten Maßnahmen leisten und die Planungssicherheit der Gesellschaften fördern.

I.

Geltungsbereich

(1) Diese Vereinbarung gilt für die personalwirtschaftliche Umsetzung der Maßnahmen. ...

(3) Diese Vereinbarung gilt nicht für Arbeitnehmer, ...

(j) deren Arbeitsverhältnis mit den Gesellschaften endet und mit denen zeitlich unmittelbar anschließend oder bis zum 30. Juni 2019 ein Vermögensberatervertrag mit der Z-AG ("Z.") oder mit der X. oder einer anderen mit der Z. verbundenen Gesellschaft oder mit einem Unternehmen der C.-Gruppe abgeschlossen wird,

...

...

III.

Durchführung des Freiwilligenprogramms

1. Grundsätze und Anspruchsberechtigung

(1) Das Freiwilligenprogramm umfasst die einvernehmliche Beendigung von Arbeitsverhältnissen (durch Aufhebungsverträge und Altersmodelle).

(2) Arbeitnehmer haben bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen nach dieser Vereinbarung einen Anspruch auf Abschluss eines Aufhebung...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge