Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnungsfreie ordentliche Kündigung bei Vorlage einer vorsätzlich wahrheitswidrigen eidesstattlichen Versicherung im gerichtlichen Verfahren gegen die Arbeitgeberin
Leitsatz (redaktionell)
1. Gibt die Arbeitnehmerin im Prozess gegen die Arbeitgeberin eine eidesstattliche Versicherung ab, die unwahre Sachverhaltsdarstellungen enthält, ist dieses Verhalten grundsätzlich geeignet, eine Kündigung zu begründen.
2. Die Frage, ob ein Verbot der Kontaktaufnahme erteilt wurde, betrifft eine Tatsache und keine Meinungsäußerung; Behauptungen der Arbeitnehmerin in einer eidesstattlichen Versicherung, wie etwa "in bisherige Tätigkeiten einarbeiten", "sämtliche Aufgaben entzogen", Arbeit in einem "leeren Büro", sind nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt auszulegen.
3. Die Kenntnis der Arbeitnehmerin, dass die in einer eidesstattlichen Versicherung niedergelegten eigenen Bekundungen von der objektiven Sachlage abweichen, kann daraus geschlussfolgert werden, dass die geschilderten Umstände Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung sind und sie die Schilderung selbst unterzeichnet ist.
4. Fehlerhafte Angaben in einer eidesstattlichen Versicherung erfolgen willentlich, wenn jede Grundlage für die Annahme fehlt, dass die Arbeitnehmerin lediglich nicht die gebotene Sorgfalt hat walten lassen; gegen ein nur fahrlässiges Verhalten spricht insbesondere der Umstand, dass der Text der eidesstattlichen Versicherung vom Umfang her überschaubar und inhaltlich verständlich formuliert ist.
5. Auch juristischen Laien erschließt sich aus dem in der Einleitung einer eidesstattlichen Versicherung enthaltenen Hinweis auf die Strafdrohung ohne Mühe, dass falsche Angaben (selbst bei bloßer Fahrlässigkeit) bestraft werden und damit rechtswidrig sind.
6. Im Falle der Vorlage einer vorsätzlich wahrheitswidrigen eidesstattlichen Versicherung in einem gegen die Arbeitgeberin geführten gerichtlichen Verfahren ist eine Abmahnung weder zur Objektivierung der negativen Prognose noch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit von Nöten.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2, S. 4; BGB §§ 133, 157, 314 Abs. 2; ZPO § 138 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 03.07.2012; Aktenzeichen 31 Ca 13956/11) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 03.07.2012 - 31 Ca 13956/11 - abgeändert.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin trägt die Kosten beider Instanzen.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung und um die Pflicht, die Klägerin weiter zu beschäftigen.
Die am 20.04.1968 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit 01.01.2005 als Direct Marketing Supervisor zu einem Bruttomonatsgehalt von € 4.838,41 beschäftigt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit war sie Vorgesetzte von etwa 8 Mitarbeitern. Ein großer Teil ihrer Aufgaben (80 %) wurde in der "Stellen-/Positionsbeschreibung" vom 26.11.2008 niedergelegt; auf die Anlage K 11 (Bl. 273 f. d. A.) wird verwiesen. Weitere Aufgaben ergaben sich aus den jährlich abzuschließenden Zielvereinbarungen.
Die Beklagte beschäftigt in Deutschland etwa 130 Mitarbeiter. Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KSchG sind im Beschäftigungsbetrieb erfüllt.
Vom 29.08.2011 bis 14.10.2011 war die Klägerin wegen Krankheit arbeitsunfähig.
Am 08.09.2011 stellte die Klägerin Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung, der dem ZBFS am 12.09.2011 zuging. Mit E-Mail vom 09.09.2011 informierte die Klägerin die Beklagte über diese Antragstellung. - Mit Bescheid vom 17.07.2012 wurde ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt (vgl. Anlage K 8; Bl. 270 d. A.). Nachdem die Klägerin die Gleichstellung beantragt hatte, sicherte ihr die Bundesagentur für Arbeit mit Schreiben vom 18.09.2012 zu, sie unter bestimmten Voraussetzungen gleichzustellen; auf die Anlage K 9 (Bl. 271 d. A.) wird ergänzend verwiesen. -
Die Klägerin kehrte nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit am 17.10.2011 in den Betrieb zurück. Es fand ein Personalgespräch mit Frau Bm. und Herrn Dr. S. statt, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass ihr während ihrer Abwesenheit die Teamleitung mit Wirkung auch für die Zukunft entzogen worden sei. Ferner wurde ihr ein Einzelbüro zugewiesen. Zuvor hatte sich der Arbeitsplatz der Klägerin in einem Büro befunden, das sie sich mit weiteren Mitarbeitern teilte.
Am 19.10., am 20.10. und am 25.10.2011 arbeitete die Klägerin die Arbeitnehmerin Frau N. in einen Teil ihrer bisherigen Aufgabenbereiche - Reporting über Direktmarketing-Aktivitäten - ein.
Am 28.10.2011 reichte die Klägerin durch ihre Rechtsanwälte beim Arbeitsgericht München einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte ein (vgl. Bl. 64 ff. d. A.), mit dem sie eine vertragsgemäße Beschäftigung forderte. Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen 17 Ga 214/11 geführt. Dem Antrag war eine eidesstattliche Versicherung der Klägerin vom 27.1...