Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang durch Neuvergabe eines Zustellauftrages an ein anderes Tochterunternehmen. Bedeutung von Hausschlüsseln als prägende sachliche Betriebsmittel eines Zustellbetriebs zur Sicherstellung des Zugangs zu Abonnentenbriefkästen
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Rahmen einer Auftragsneuvergabe sind sachliche Betriebsmittel dann wesentlich, wenn ihr Einsatz bei wertender Betrachtungsweise den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs ausmacht und sie somit unverzichtbar zur auftragsgemäßen Verrichtung der Tätigkeiten sind; den Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs bilden sachliche Betriebsmittel jedoch nicht schon dann, wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind.
2. Hausschlüssel, die den Zugang zu Abonnentenbriefkästen sicherstellen und damit die eigentliche Leistung der Zustellung erst möglich machen, sind geeignet, die Identität der wirtschaftlichen Einheit eines Zustellbetriebs zu prägen und für die Wahrung der wirtschaftlichen Einheit von deutlich größerer Bedeutung zu sein als Hilfsmittel, auf deren Übergabe die Auftragsnachfolgerin nicht angewiesen ist, weil sie anderweitig käuflich erworben werden können.
3. Soweit im Regelfall bei wertender Betrachtung nicht schon dann der Übergang einer wirtschaftlichen Einheit anzunehmen ist, wenn alte und neue Auftragnehmerin ähnliche Dienstleistungen erbringen, gewinnen doch die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der Übergang der Kundschaft, der Grad der Ähnlichkeit der verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung der Tätigkeiten, die bei einer Funktionsnachfolge typischerweise erfüllt sind, dann erheblich an Bedeutung, wenn diese Umstände und Tätigkeiten von der Auftraggeberin gesteuert werden können und die Neuvergabe des Auftrags innerhalb eines Konzerns erfolgt.
4. Wird ein Beschäftigungsbedarf innerhalb des Konzern ohne sonstige wesentliche Änderungen von einem Tochterunternehmen auf ein anderes verschoben und bleibt damit bei konzernweiter Betrachtung nahezu alles beim Alten ("wirtschaftlich identisch"), kann im Einzelfall aufgrund der erforderlichen Gesamtbetrachtung aller Umstände davon ausgegangen werden, dass mit der Neuvergabe des Auftrags an ein Tochterunternehmen auch ein Übergang der wirtschaftlichen Einheit im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB einhergeht.
Normenkette
BGB § 613a; BGB § 613a Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 20.03.2013; Aktenzeichen 1 Ca 5883/12) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 20.03.2013 - 1 Ca 5883/12 - wird auf Kosten der Beklagten zu 1) zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch darüber, ob das ursprünglich zwischen der Beklagten zu 2) und dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum 01.03.2012 auf die Beklagte zu 1) übergegangen ist.
Der am 11.03.1954 geborene Kläger war seit 16.11.2000 bei der Beklagten zu 2) als Zeitungszusteller mit 20 Wochenstunden, nach Darstellung des Klägers mit einem Bruttomonatseinkommen in Höhe von 816,-- €, nach Darstellung der Beklagten in Höhe von 814,96 € brutto beschäftigt.
Der Kläger war Mitglied des im Betrieb der Beklagten zu 2) gebildeten Betriebsrats.
Gesellschafter beider Beklagter sind die G GmbH mit einem Anteil von 75 % und die HGmbH, welche als Minderheitsgesellschafterin (25 %) eine Sperrminorität besitzt. Neben den Beklagten existieren im Stadtgebiet A-Stadt noch weitere Zustell GmbHs mit gleicher Gesellschafterstruktur, die stadtteilmäßig abgegrenzt Münchner und andere regionale und überregionale Druckerzeugnisse, insbesondere Zeitungen durch einen eigenen Zustelldienst an die der Abonnenten zustellen. Einziger Auftraggeber dieser GmbHs ist I GmbH, ebenfalls mit Sitz in A-Stadt, die eine 100%ige Tochter der H GmbH ist und mit dieser als herrschender Gesellschaft einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen hat (HRB 93500, Amtsgericht A-Stadt). Die Beklagte zu 1) ist aus einer am 04.10.2011 in das Handelsregister (HRB 93539 Amtsgericht A-Stadt) eingetragenen Umfirmierung der früheren J GmbH hervorgegangen, wobei der Geschäftsgegenstand des Unternehmens, nämlich die "Erbringung von Dienstleistungen für Medienunternehmen oder sonstige Unternehmen im Logistikbereich im Gebiet der Landeshauptstadt A-Stadt, Stadtteil K, L u. a., insbesondere für die Aufgaben der Zustellung, soweit diese durch Träger einer eigenen Zustellungsorganisation erfolgt", unverändert blieb. Die Beklagte zu 2) hatte ihren Betrieb im Jahr 2010 zunächst eingestellt. Am 13.02.2012 wurde für die nunmehr umfirmierte Beklagte zu 1) Herr zum Geschäftsführer bestellt, zunächst neben Herrn M, der zum 13.09.2012 als Geschäftführer ausschied. Herr N ist innerhalb der I GmbH als Leiter der Zustellung für den Zustellbereich verantwortlich.
Mit Schreiben vom...