Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Unterhaltsbeihilfe und bezahlte Familienheimfahrten nur bei gemeinsamem Wohnsitz des Auszubildenden mit den Eltern

 

Leitsatz (amtlich)

Der Tarifvertrag sieht pro Monat die Bezahlung einer sogenannten Familienheimfahrt für den Auszubildenden vom Ausbildungsort zum Wohnort der Eltern vor, wenn die Orte soweit voneinander entfernt sind, dass eine tägliche Rückkehr nicht möglich ist. Im Rahmen der gebotenen Auslegung der einschlägigen Norm ist die Bezahlung der Familienheimfahrt davon abhängig, dass der Auszubildende zum Zeitpunkt der Aufnahme der Ausbildung noch bei seinen Eltern wohnt. Hingegen hat ein Auszubildender, der bereits einen eigenen Hausstand an einem anderen Ort begründet hat - wie vorliegend der Fall - keinen Anspruch auf eine bezahlte Familienheimfahrt nach dem Tarifvertrag. (Rn. 22 - 25)

 

Normenkette

TV AzB § 13 S. 2, § 15

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 16.05.2017; Aktenzeichen 3 Ca 9589/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.04.2019; Aktenzeichen 6 AZR 267/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 16.05.2017 - 3 Ca 9589/16 - teilweise abgeändert.

Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten, ob dem Kläger nach dem Tarifvertrag für die Auszubildenden der P. AG eine Unterhaltsbeihilfe zusteht.

Der Kläger war vom 01.09.2013 bis zum 29.02.2016 Auszubildender bei der Beklagten. Auf das Ausbildungsverhältnis fand der Tarifvertrag für die Auszubildenden der P. AG vom 12.01.1976 in der Fassung vom 01.06.2004 (im Folgenden: TV AzB) Anwendung.

In § 13 TV AzB mit der Überschrift "Unterhaltsbeihilfe" steht ua.:

"Auszubildende deren Eltern, Erziehungsberechtigte oder Ehegatten so weit oder verkehrsmäßig so ungünstig vom Ort der Ausbildungsstätte entfernt wohnen, dass die Auszubildenden nicht täglich zum Wohnort der Eltern, des Erziehungsberechtigten oder des Ehegatten zurückkehren können, erhalten neben der Ausbildungsvergütung nach § 4 eine Unterhaltsbeihilfe. Dies gilt jedoch nicht, wenn von der P. eine Unterkunft bereitgestellt wird."

In § 15 TV AzB mit der Überschrift "Familienheimfahrten" steht ua.:

"Auszubildende deren Eltern, Erziehungsberechtigte oder Ehegatten so weit oder verkehrsmäßig so ungünstig vom Ort der Ausbildungsstätte entfernt wohnen, dass sie nicht täglich zum Wohnort der Eltern, des Erziehungsberechtigten oder des Ehegatten zurückkehren können und daher außerhalb wohnen müssen, erhalten auf Antrag monatlich eine bezahlte Familienheimfahrt und unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 Urlaub für Familienheimfahrten."

Vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger gemeint, er habe Unterhaltsbeihilfe beanspruchen können, da seine Eltern während der Ausbildung in ... H. gewohnt hätten. Dass er bereits vor Beginn der Ausbildung als Student in Chemnitz gewohnt habe, sei unerheblich. Die Tatbestandsvoraussetzungen des "Zurückkehrens" in § 13 TV AzB würden nichts über die Dauer des Wegseins von der Familie aussagen. Er hat gemeint, der Regelungszweck der tariflichen Norm liege darin, dass Auszubildende über ein sehr geringes Einkommen verfügten, anders als Studenten kein BAföG beziehen könnten und neben der Ausbildung nicht arbeiten könnten. Weiter hat er darauf verwiesen, dass sein Anspruch auch nicht verwirkt sei, denn er habe im September 2013 bei seiner Ausbildungsreferentin nachgefragt und diese habe gesagt, dass er keinen Anspruch auf die im Tarifvertrag geregelte Unterhaltsbeihilfe habe. Der Kläger hat weiter auch die Abgeltung des tariflichen Zusatzurlaubes für Familienheimfahrten verlangt sowie die Erstattung von Fahrtkosten für Familienheimfahrten.

Vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger beantragt,

  1. Die Beklagte wird verurteilt, 5.870,00 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.06.2016 an den Kläger zu zahlen.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, 1.294,66 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.06.2016 an den Kläger zu zahlen.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, 8.520,00 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.06.2016 an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie hat gemeint, ein Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe habe nicht bestanden und hat mit Nichtwissen bestritten, das der Wohnsitz der Familie des Klägers in Havelsee gewesen sei. Sie hat darauf verwiesen, dass der Kläger bereits vor Beginn seiner Ausbildung seinen letzten Wohnsitz in Chemnitz gehabt habe, da er an der dortigen TU studiert habe. Damit habe er den gemeinsamen Wohnsitz mit den Eltern aufgehoben und auch der Tarifwortlaut "zurückkehren" impliziere, dass der Wohnsitz der Eltern vor Beginn der Ausbildung zugleich der Wohnsitz des Auszubildenden gewesen sein müsse. Zudem decke sich die Wortlautauslegung auch mit dem Regelungszweck der tariflichen ...

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