Entscheidungsstichwort (Thema)

Altersbenachteiligung durch schrittweise Kürzung der Witwenversorgung bei Altersdifferenz zwischen den Ehegatten von mehr als zehn Jahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Regelung einer Versorgungszusage, wonach eine schrittweise Kürzung der Witwenrente dann erfolgt, wenn der Altersunterschied zwischen den Ehegatten mehr als zehn Jahre beträgt, bewirkt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 AGG, die nicht gemäß § 10 AGG gerechtfertigt ist.

2. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG knüpft für die Fallgruppe der “Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für den Bezug von Leistungen„ bereits von seinem Wortlaut her ausschließlich an die Risiken “Alter„ und “Invalidität„ und nicht an das Risiko des “Todes„ an und erfasst deshalb ausschließlich die Alters- und Invaliditätsversorgung, nicht jedoch die Hinterbliebenenversorgung und damit auch nicht die Witwenversorgung.

3. Die an eine Altersdifferenz von mehr als zehn Jahren zwischen den Ehegatten anknüpfende schrittweise Kürzungsregelung in einer Versorgungszusage ist zur Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele nicht angemessen und erforderlich im Sinne des § 10 Satz 2 AGG; ob die Ungleichbehandlung wegen des Alters durch ein legitimes Ziel im Sinne des § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt ist, kann offenbleiben.

4. Die Regelung einer Versorgungszusage, dass bei einem Altersunterschied von mehr als zehn Lebensjahren zwischen den Ehepartnern bereits eine Kürzung von 5% pro weiteres Lebensjahr erfolgt, ist willkürlich und hat keinerlei rechtfertigenden Ansatz.

5. Die Heirat mit einem um mehr als zehn Jahre jüngeren Ehepartner stellt auch - anders als das Ende des Arbeitsverhältnisses oder der Eintritt des Versorgungsfalls beim versorgungsberechtigten Arbeitnehmer selbst - keine “Zäsur„ dar, die es ausnahmsweise gestatten könnte, in den Bestimmungen über die Witwen-/Witwerversorgung zur Begrenzung des mit der Versorgungszusage verbundenen Risikos und Aufwands hieran anzuknüpfen und die Lebensgestaltung des Arbeitnehmers ab diesem Zeitpunkt bei der Abgrenzung ihrer Leistungspflichten unberücksichtigt zu lassen. Das folgt aus den Wertungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG, wonach betriebliche Altersversorgung im Sinne des Betriebsrentengesetzes nur vorliegt, wenn dem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung vom Arbeitgeber “aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses„ zugesagt werden und die Arbeitgeberin im Hinblick auf diesen Kausalzusammenhang mit der Zusage von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung bestimmte Risiken übernimmt, wobei die Altersversorgung einen Teil der “Langlebigkeitsrisiken„, die Invaliditätssicherung einen Teil der Invaliditätsrisiken und die Hinterbliebenenversorgung einen Teil der Todesfallrisiken abdeckt.

6. Von einer Versorgungsehe kann nur dann gesprochen werden, wenn die Heirat allein oder überwiegend zu dem Zweck erfolgt, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. Zwar kann bei einer Ehe, die zum Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalls “Tod„ - unabhängig vom gleichzeitigen Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Versorgungsschuldner - erst von kurzer Dauer war, die Vermutung gerechtfertigt sein kann, dass die Ehe unter Versorgungsgesichtspunkten geschlossen wurde, es besteht aber kein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine Eheschließung bei einem Lebensaltersunterschied der Ehepartner von zehn Jahren ausschließlich oder überwiegend unter Versorgungsgesichtspunkten erfolgt, da bei solchen Eheschließungen ein anderer Zweck der Eheschließung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie der Versorgungszweck.

 

Normenkette

AGG §§ 1, 3 Abs. 1 S. 1, § 7 Abs. 1, §§ 10, 7 Abs. 2, § 10 Sätze 1-2; BetrAVG § 1 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 20.04.2016; Aktenzeichen 34 Ca 7847/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.12.2018; Aktenzeichen 3 AZR 400/17)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 20.04.2016 - 34 Ca 7847/15 - abgeändert.

Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an die Klägerin aus rückständiger Betriebsrente für den Zeitraum August 2014 bis März 2016 € 5.345,82 zu bezahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus

- 1.318,45 € seit dem 01.01.2015

- 1.582,14 € seit dem 01.02.2015

- 1.845,83 € seit dem 01.03.2015

- 2.115,06 € seit dem 01.04.2015

- 2.384,29 € seit dem 01.05.2015

- 2.653,52 € seit dem 01.06.2015

- 2.922,75 € seit dem 01.07.2015

- 3.191,98 € seit dem 01.08.2015

- 3.461,21 € seit dem 01.09.2015

- 3.730,44 € seit dem 01.10.2015

- 3.999,67 € seit dem 01.11.2015

- 4.268,90 € seit dem 01.12.2015

- 4.538,13 € seit dem 01.01.2016

- 4.807,36 € seit dem 01.02.2016

- 5.076,59 € seit dem 01.03.2016

- 5.345,82 € seit dem 01.04.2016.

2. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe ei...

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