Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienen des Anspruchs auf Einsichtnahme und Überprüfung von Wahlunterlagen allein der Dokumentation und Prüfbarkeit des Wahlergebnisses
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Anspruch nach § 19 WO auf Einsichtnahme und Überprüfung von Wahlunterlagen steht nicht nur dem Betriebsrat zu, der die Wahlakten aufzubewahren hat, sondern auch denjenigen, die nach § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG berechtigt sind, die Betriebsratswahl anzufechten, also Arbeitnehmern, Arbeitgebern und jeder im Betrieb vertretene Gewerkschaft.
2. Ein Anspruch auf Einsichtnahme und Überprüfung von Wahlunterlagen nach § 19 WO dient allein der Dokumentation und Prüfbarkeit des Wahlergebnisses. Er rechtfertigt keine weitergehenden Recherchen zur Aufklärung von Differenzen, die sich bei der Stimmauszählung zwischen vorhandenen Stimmabgabevermerken und vorhandenen Wahlumschlägen ergeben.
Normenkette
WO § 19
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 08.08.2022; Aktenzeichen 23 BV 256/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 bis 5 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 08.08.2022 - 23 BV 256/21, soweit es den Antrag auf Herausgabe hilfsweise Einsicht in die Wahlunterlagen abgewiesen hat, wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl und über die Herausgabe der Wahlunterlagen, hilfsweise einer Einsicht in diese.
Die Antragsteller, die Beteiligten zu 1) bis 6), sind entweder Beschäftigte bei der Beteiligten zu 8) oder Beschäftigte bei der Beteiligten zu 9) (im Folgenden: Arbeitgeberinnen), die einen gemeinsamen Betrieb mit 383 Mitarbeitern bilden. Der Beteiligte zu 7) ist der elfköpfige Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat), der sich nach der Betriebsratswahl am 25.08.2021 konstituiert hat. Der Betriebsratswahl lag u.a. die "Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich zur Bildung eines einheitlichen Betriebes" mit Wirkung zum 1. Juni 2021 zugrunde, in der aufgrund einer Prognose vom 19.05.2021 zur Mitarbeiterentwicklung von einer erforderlichen Betriebsratsgröße von elf Mitgliedern ausgegangen wurde.
Der im gemeinsamen Betrieb der Arbeitgeberinnen gebildete Übergangsbetriebsrat hatte zur Durchführung der Betriebsratswahl einen Wahlvorstand mit Frau H. als Vorsitzende, Herrn I., Frau J., Herrn K. und Frau L. sowie den Ersatzmitgliedern Herrn M. und Frau N. bestellt. Die Arbeitgeberinnen hatten für die Wahl angegeben, dass sechs der 383 Mitarbeiter zu den leitenden Angestellten gehörten, darunter zwei Frauen. In dem vom Wahlvorstand am 13.07.2021 erlassenen und auch per E-Mail an die Beschäftigten der Beteiligten zu 8) und zu 9) versandten Wahlausschreiben stand ua.:
"... Die Wählerliste und die Wahlordnung liegen in ... Raum 35.-101 zur Einsicht während den Sprechzeiten des Wahlvorstandes aus....
...Das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, muss mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn der Betriebsrat aus mindestens drei Mitgliedern besteht (§ 15 Abs. 2 BetrVG).
In unserem Betrieb sind am 13.07.2021 189 Frauen und 194 Männer beschäftigt. Der Betriebsrat hat aus 11 Mitgliedern zu bestehen (gemäß "Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich zur Bildung eines einheitlichen Betriebes" zum 01. Juni 2021). Auf das Geschlecht in der Minderheit der Frauen entfallen 5 Mindestsitze (§ 15 Abs. 2 BetrVG).
Gewählt werden können weiter nur diejenigen Arbeitnehmer/innen, die ordnungsgemäß zur Wahl vorgeschlagen wurden. Ein ordnungsgemäßer Wahlvorschlag setzt voraus, dass dieser gemäß § 14 Abs. 4 BetrVG von mindestens 19 wahlberechtigten Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmerinnen unterzeichnet worden ist (Stützunterschriften)...
Die Stimmabgabe ist an die Wahlvorschläge gebunden. Die Wahlvorschläge müssen schriftlich in Form von Vorschlagslisten ... eingereicht werden. Der letzte Tag für die Einreichung von Vorschlagslisten ist der 27. Juli 2021 bis spätestens 18: 00 Uhr.
Bei der Aufstellung von Vorschlagslisten sollen das Geschlecht in der Minderheit, ... berücksichtigt werden. Nicht fristgerecht eingereichte Wahlvorschläge können nicht berücksichtigt werden.
Die Wahlvorschläge hängen am folgenden Ort ... aus..."
Als Anlage zur E-Mail vom 13.07.2021 versandte der Wahlvorstand die "Kurzhinweise zur Einleitung und Durchführung einer Betriebsratswahl", die u.a. folgende Informationen enthielten:
"Werden mindestens zwei Vorschlagslisten für gültig befunden, können die Arbeitnehmer/innen sich bei der Wahl nur für eine der Listen entscheiden (Listenwahl). Wurde nur eine Vorschlagsliste eingereicht oder für gültig befunden, können die Arbeitnehmer/innen den einzelnen Kandidaten ihre Stimme geben (Personenwahl). Der Beschäftigte kann dann so viele Bewerber/innen ankreuzen, wie Sitze zu vergeben sind."
Am 15.07.2021 fand ein Treffen statt, an dem u.a. Mitglieder des Wahlvorstandes, u.a. Frau H., und von den Antragstellern zumindest unstreitig die Beteiligten zu 3) und zu 4) teilnahm...