Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezugnahmeklausel. dynamische Fortgeltung. Staffelung in Tarifverträgen
Leitsatz (amtlich)
1. Zwar ist zuzugeben, dass der Wortlaut des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB im Hinblick auf die zu wahrenden Rechte auf die Verhältnisse „zum Zeitpunkt des Übergangs” des Betriebes abstellt; im Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachten Vergütungserhöhungsansprüche ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs – 1. Mai 2004 – und die Einmalzahlung im November 2004 bedeutet dies jedoch nicht zwingend, dass sie nicht dem Schutzzweck des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB unterfallen. In seiner Grundsatzentscheidung zur Tarifgeltung nach Betriebsübergang vom 13. November 1985 (4 AZR 309/84 – AP Nr. 46 zu § 613a BGB) hat das Bundesarbeitsgericht bereits erkannt, dass Ziel des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB es ist, dass bestehende Rechte innerhalb eines Jahres nach Betriebsübergang nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden dürfen. In diesem Zusammenhang hat es von „späteren Tarifnormen”, aber auch von „künftigen Tarifverträgen” gesprochen und die Problematik eines Verstoßes einer Bindung der Arbeitgeberin an künftige Tarifverträge gegen Art. 9 Abs. 3 GG angesprochen, die über § 613a Abs. 1 S. 2 BGB ausgeräumt sei. Diese verfassungsrechtlichen Bedenken beruhten darauf, dass ein Arbeitgeber für ihn unkalkulierbare Rechtswirkungen und Rechtseingriffe nicht vorhersehen und in rechtsstaatswidriger Weise betroffen sein könne.
2. Gerade in dieser Richtung erscheinen die entsprechenden verfassungsrechtlichen Rechte einer betriebsübernehmenden nicht tarifgebundenen Arbeitgeberin jedoch jedenfalls dann genügend gewahrt, wenn nach dem Betriebsübergang entstehende Rechte bereits vorher zeitlich gestaffelt in einem Tarifvertrag geregelt sind. Derartige Rechte sind zum einen für die betriebsübernehmende nicht tarifgebundene Arbeitgeberin durchaus erkennbar und kalkulierbar und im Übrigen durch deren Wahrung auch nur auf ein Jahr begrenzt. Dies erscheint zumutbar. Etwas anderes muss selbstverständlich mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelten für die Fälle, dass Änderungen früherer tariflicher Rechte nach Betriebsübergang durch den Abschluss neuer Tarifverträge oder ggf. auch rückwirkend erfolgen sollten. Diese Konstellationen sind nicht vergleichbar mit der hier zu entscheidenden.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 22.07.2005; Aktenzeichen 14 Ca 4409/05) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird dasEndurteil desArbeitsgerichts München vom22. Juli 2005 – Gz.: 14 Ca 4409/05 – dahin geändert, dass der Zinsbeginn der 31. März 2005 ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3. Gegen dieses Urteil wird die Revision seitens der Beklagten zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf Grund eines arbeitsvertraglich vereinbarten Tarifvertrages, der vor einem Betriebsübergang gem. § 613a Abs. 1 S. 1 und 2 BGB an die Beklagte abgeschlossen worden ist, jedoch Ansprüche auch für die Zeit danach regelt.
Der am 19. September 1960 geborene Kläger hat am 14. Oktober 1999 mit dem B., einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, einen Arbeitsvertrag („Dienstvertrag”) geschlossen, wonach er ab 1. November 1999 in deren B.-Heim M. in K. als Heilerziehungspfleger beschäftigt ist. Nach dessen § 2 „bemisst sich das Beschäftigungsverhältnis nach dem Manteltarifvertrag zur Anwendung des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge Anwendung.” Unstreitig hat das B. den Manteltarifvertrag für die Beschäftigten des B. vom 1. Januar 2003 (MTV-B.) angewendet, dessen Partei es war. In § 1 des erwähnten Manteltarifvertrages ist wiederum die Anwendung des BAT und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen sowie die Anwendung der für diesen Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge vereinbart.
Der Kläger ist bei der Beklagten nach den vorgelegten „Lohn-/Gehaltsabrechnungen” nach der „Tariftabelle BAT-W” in „Vergütungsgruppe Vb mD(10)” vergütet worden.
Nach seinem in der Berufungsverhandlung seitens der Beklagten unwidersprochen gebliebenen Sachvortrag ist er seit 1. April 2003 „Mitglied der tarifschließenden Partei des Manteltarifvertrages zur Anwendung des BAT”.
Unstreitig sind in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes im Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT vom 31. Januar 2003 (künftig: Vergütungs-TV Nr. 35) in § 4 die Grundvergütungen bzw. Gesamtvergütungen angehoben worden, und zwar soweit dies den Kläger betrifft wie folgt:
01.01.2003 bzw. 01.04.2003 Erhöhung der Einkommen um 2,4 % weitere Erhöhung der Einkommen um jeweils 1 % zum 01.01.2004 und zum 01.05.2004
Insoweit wird auch auf die darin genannten Anlagen verwiesen.
Darüber hinaus ist in...