Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen Versetzung und Verlagerung eines Betriebsteils. Versetzungsbegriff des § 95 Abs. 3 BetrVG. Keine Änderung des Arbeitsbereichs durch längeren Anfahrtsweg
Leitsatz (redaktionell)
1. Systematisch stellt sich die Verlagerung eines räumlich vom restlichen Betrieb getrennten Betriebsteils nicht als Summe personeller Einzelmaßnahmen dar. Die Veränderungen finden nicht auf der individuellen personellen Ebene, sondern auf der Ebene des gesamten Betriebsteils statt. Der Zweck des § 99 BetrVG gebietet in diesem Fall nicht die Mitbestimmung des Betriebsrats, denn diese wird über die Normen der Betriebsänderung (§§ 111 ff. BetrVG) gewahrt.
2. In § 95 Abs. 3 BetrVG wird der Begriff des Arbeitsbereichs verwendet. Dieser Begriff beschreibt die Aufgabe und Verantwortung sowie die Art der Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs. Arbeitsbereich ist danach der konkrete Arbeitsplatz und seine Beziehung zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und organisatorischer Hinsicht.
3. Wird ein Team innerhalb derselben Stadt an einen neuen, zwölf Kilometer weiter entfernten Standort verlagert, ändert sich der Arbeitsbereich nicht. Der Gesetzestext des § 95 Abs. 3 BetrVG spricht nur von den Umständen, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Der Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte stellt aber weder unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsentgelts noch dem des Arbeitsschutzes selbst "Arbeit" dar.
Normenkette
BetrVG §§ 80, 81 Abs. 1, § 95 Abs. 3, §§ 99, 111 Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 26.06.2019; Aktenzeichen 5 BV 2/19) |
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover - 5 BV 2/19 - vom 26.06.2019 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei der Verlagerung des Beschäftigungsortes von drei Teams mit rund 60 Beschäftigten innerhalb B. um mitbestimmungspflichtige Versetzungen i. S. der §§ 95, 99 BetrVG handelt.
Die Beteiligte zu 2) erbringt Kundendienst- und Serviceleistungen u.a. für Kunden des Konzerns D. sowie den Vertrieb sämtlicher Produkte und Dienstleistungen des T. Konzerns. Durch Zuordnungstarifvertrag (Bl. d.A.) sind abweichend von den gesetzlichen Kriterien funktional bestimmte Betriebe gebildet worden. Der Beteiligte zu 1) ist der für die Region F. gebildete Betriebsrat. Sitz des Betriebes ist A-Stadt. Mitarbeiter der Beteiligten zu 2) sind u.a. in mehreren Dienstgebäuden im Gebiet der Stadt B-Stadt untergebracht. Es gilt eine Gesamtbetriebsvereinbarung zwischen der D. GmbH (nach Umfirmierung jetzt Beteiligte zu 2) und dem Gesamtbetriebsrat über einen Interessenausgleich und Sozialplan "Zukunft Innendienst DTTS" (Bl. 184 - 192 d.A.).
Mit E-Mail vom 02.05.2018 (Bl. 39 f. d.A.) informierte die Beteiligte zu 2) den Beteiligten zu 1) darüber, dass der Umzug von Beschäftigten innerhalb B. vom Betriebsstandort B.Straße 4 - 12 an den Betriebsstandort W.straße 21 zum 18.06.2018 geplant sei. Die betroffenen Mitarbeiter, für deren Vertretung der Beteiligte zu 1) unstreitig zuständig ist, ergaben sich aus einer beigefügten Excel-Liste (Bl. 40 d.A.). Die Entfernung zwischen den Standorten beträgt mit den Kfz 12,1 km. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist eine Fahrzeit von mindestens 46 Minuten anzunehmen. Der Beteiligte zu 1) bat mit E-Mail vom 16.05.2018 (Bl. 44 d.A.) um weitere Informationen und eine Beteiligungsvorlage gemäß § 87 BetrVG zum Neubezug der Arbeitsstelle in B-Stadt W.Straße. Mit E-Mail vom 17.05.2018 (Bl. 45 d.A.) vertrat die Beteiligte zu 2) die Auffassung, eine mitbestimmungspflichte Versetzung liege nicht vor.
Die Beteiligte zu 2) setzt die vorgesehene Maßnahme um, wobei sämtliche Mitarbeiter vom früheren Standort B.Straße 4 -12 in B-Stadt an den Standort in der W.Straße 21 in B-Stadt umgesetzt werden. Am früheren Betriebsstandort waren die Mitarbeiter ca. zur Hälfte in einem Großraumbüro und daneben in mehreren kleineren Büros untergebracht. In der W.Straße arbeiten sämtliche Mitarbeiter in zwei Großraumbüros. Es werden sogenannte Desk-Sharing-Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt, wonach jeder Mitarbeiter einen verschließbaren Wertschrank erhält und nicht über einen individuell zugewiesenen Arbeitsplatz verfügt.
Auf der Betriebsratssitzung am 05./06.12.2018 beschloss der Beteiligte zu 1) die Einleitung eines Beschlussverfahrens zur Durchsetzung von Ansprüchen nach §§ 101, 23 Abs. 3 BetrVG (Bl. 52 d.A.).
Der Beteiligte zu 1) vertritt die Auffassung, ihm stehe ein Anspruch auf Aufhebung mitbestimmungswidrig erfolgter Versetzungen der im Antrag benannten Mitarbeiter zu. Darüber hinaus bestehe ein berechtigtes Interesse an dem hilfsweise gestellten Feststellungsantrag, da der Betriebsrat im Fall zukünftiger Verstöße gegen sein Mitbestimmungsrecht Unterlassungs-ansprüche geltend machen könne.
Der Beteiligte zu 1) hat beantragt,
1. die Versetzung de...