Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei der Erstellung und Durchführung von Dienstplänen. Allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei wiederholter Verletzung von Mitbestimmungsrechten durch die Arbeitgeberin
Leitsatz (amtlich)
1) Bei Verletzung von Mitbestimmungsrechten aus § 87 BetrVG steht dem Betriebsrat unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG ein allgemeiner Anspruch auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Maßnahmen des Arbeitgebers zu, § 1004 BGB analog iVm. §§ 2, 87 Abs. 1 BetrVG.
2) Die Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG steht zu befürchten, wenn die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch später mehrfach verletzt hat.
3) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG entfällt nicht dadurch, dass die Mitarbeiter die nicht mit Zustimmung des Betriebsrates geleisteten Arbeiten "freiwillig" verrichtet haben.
4) Um sog. Notfälle handelt es sich nicht, wenn der "Notfall" im Betrieb die Regel ist.
5) Verlangt der Betriebsrat die Durchsetzung seiner Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 BetrVG, verstößt er noch nicht allein dadurch gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit, dass er sich - aufgrund anderer, nicht offensichtlich unvertretbarer Auffassung - in den durch das BetrVG vorgesehenen Verfahren einer inhaltlichen Auseinandersetzung verwehrt.
Normenkette
BetrVG §§ 2, 87 Abs. 1 Nrn. 2-3, § 23 Abs. 3; BGB § 1004
Verfahrensgang
ArbG Göttingen (Entscheidung vom 15.03.2016; Aktenzeichen 1 BV 21/15) |
Tenor
I. Die Beteiligte zu 2) wird verurteilt,
1. es zu unterlassen, Dienstpläne ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrates bzw. eine diese ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle in Kraft zu setzen,
2. es zu unterlassen,
a. Beschäftigte abweichend von aufgestellten Dienstplänen an vorgesehenen Arbeitstagen aus eigener Entscheidung nicht einzusetzen, solange keine Zustimmung des Betriebsrates oder eine diese ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle hierzu vorliegt und es sich nicht um Urlaubs-, von den Beschäftigten beantragte Freizeitausgleichs- oder Krankheitstage handelt,
b. Beschäftigte an dienstplanmäßig freien Tagen zur Arbeit heranzuziehen, solange keine Zustimmung des Betriebsrates oder eine diese ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle hierzu vorliegt und es sich nicht um einen Notfall handelt,
c. Beschäftigte vor dem planmäßigen Arbeitszeitbeginn zu beschäftigen, so-lange keine Zustimmung des Betriebsrates oder eine diese ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle hierzu vorliegt und es sich nicht um einen Notfall handelt,
d. Beschäftigte nach dem im Dienstplan vorgesehenen Ende der Schicht zu beschäftigen, solange keine Zustimmung des Betriebsrates oder eine diese ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle hierzu vorliegt und es sich nicht um einen Notfall handelt,
e. Beschäftigte in anderen Schichten als im Dienstplan vorgesehen einzusetzen, solange keine Zustimmung des Betriebsrates oder eine diese ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle hierzu vorliegt und es sich nicht um einen Notfall handelt,
f. Beschäftigten nicht die zwischen den Betriebsparteien vereinbarten Pausenzeiten zu gewähren, solange keine Zustimmung des Betriebsrats oder eine diese ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle hierzu vorliegt und es sich nicht um einen Notfall handelt.
II. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 10.000,00 Euro angedroht.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat im Zusammenhang mit der Erstellung und Durchführung von Dienstplänen sowie ihrer Änderung Unterlassungsansprüche begehren kann.
Die Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Arbeitgeberin) betreibt eine Klinik der Grund- und Regelversorgung mit 227 Betten in H. Sie ist im Krankenhausplan des Landes Niedersachsen aufgenommen und erfüllt Aufgaben der Gesundheits- und Daseinsvorsorge; der Betrieb des Krankenhauses ist zur bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung erforderlich. Zuletzt wurde seine Aufnahme mit Bescheid vom 18. Dezember 2014 durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung festgestellt (Blatt 97 ff. d. A.). Der Beteiligte zu 1) ist der dortige Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat). Die Arbeitgeberin ist eine Tochter des F.-Konzerns mit der H. Kliniken GmbH als Muttergesellschaft. Im allgemeinen Pflegebereich gibt es acht Stationen mit ca. 175 Beschäftigten; in den Funktionsbereichen werden ca. 100 und im ärztlichen Dienst ca. 60 Arbeitnehmer sowie Auszubildende, Stationssekretärinnen und Praktikanten in dienstplanmäßig geregelten Arbeitszeiten beschäftigt. Die Gesamtzahl der Beschäftigten liegt bei ca. 430 Arbeitnehmern; leitende Angestellte gibt es nicht.
Bis zum Jahreswechsel 2014/2015 gab es wegen der Dienstplanung zwischen den Beteiligten keine Unstimmigkeiten. Die Arbeitgeberin plante die D...