Entscheidungsstichwort (Thema)

Einreichung von Vorschlagslisten mit weniger als zu besetzenden Betriebsratssitzen bei einer Betriebsratswahl. Einwöchige Nachfristsetzung des Wahlvorstands zur Gewinnung weiterer Wahlbewerber. Anfechtung einer Betriebsratswahl

 

Leitsatz (amtlich)

1. Werden bei einer Betriebsratswahl Vorschlagslisten mit weniger Bewerbern eingereicht, als Betriebsratssitze zu besetzen sind, so hat der Wahlvorstand in entsprechender Anwendung von § 9 WO eine einwöchige Nachfrist zur Gewinnung weiterer Wahlbewerber zu setzen. Der Wahlvorstand kann keine andere als die gesetzlich vorgesehene Frist zur Einreichung weiterer Wahlvorschläge festlegen.

2. § 9 Abs. 1 WO ist - auch im Falle einer entsprechenden Anwendung - eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG.

3. Im Falle einer zu kurzen Bemessung der Nachfrist des § 9 Abs. 1 WO lässt sich in der Regel nicht ausschließen, dass das Wahlergebnis ohne den Verstoß anders ausgefallen wäre, da die Möglichkeit besteht, dass bei zutreffend bemessener Frist weitere ordnungsgemäße Wahlvorschläge eingereicht worden wären.

 

Normenkette

BetrVG §§ 11, 13; BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2; BetrVG § 19; WO §§ 6, 8, 9 Abs. 1; BetrVG § 9; WO § 9

 

Verfahrensgang

ArbG Nienburg (Entscheidung vom 13.06.2023; Aktenzeichen 2 BV 2/23)

 

Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nienburg vom 13.06.2023 - 2 BV 2/23 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten auch in zweiter Instanz über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Am 15. Februar 2023 fand in dem Gemeinschaftsbetrieb der Beteiligten zu 1. und 2. (im Folgenden: Arbeitgeberinnen), in dem zum damaligen Zeitpunkt 367 Arbeitnehmer beschäftigt waren, eine Betriebsratswahl statt, aus der der zu 3. beteiligte Betriebsrat hervorgegangen ist.

Der bei den Arbeitgeberinnen gebildete Betriebsrat bestellte einen aus fünf Mitgliedern bestehenden Wahlvorstand zur Durchführung der Betriebsratswahl (vgl. Bl. 18 d.A.).

Zur Vorbereitung der Betriebsratswahl machte der Wahlvorstand am 8. Dezember 2022 ein Wahlausschreiben durch Aushang bekannt (Bl. 19 dA.). Es enthielt ua. die Hinweise, dass ein Betriebsrat mit neun Mitgliedern zu wählen sei, und dass Wahlvorschläge bis zum 22. Dezember 2022, 16:00 Uhr beim Wahlvorstand eingereicht werden könnten.

Bis zum Ablauf dieser Frist wurde beim Wahlvorstand ein Wahlvorschlag eingereicht, auf dem jedoch lediglich sechs Wahlbewerber aufgeführt waren. Der Wahlvorstand beschloss daraufhin, eine Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlägen zu setzen und machte dies am 23. Dezember 2022 per Aushang bekannt (Bl. 20 dA.). Dieser lautet auszugsweise:

"Wichtige Mitteilung zur Betriebsratswahl!

Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlagskandidaten BRWahl

Der Wahlvorstand gibt hiermit bekannt, dass bis zum Ablauf der im Gesetz vorgesehenen Frist von 2 Wochen seit Erlass des Wahlausschreibens die nötige Anzahl von 9 Kandidaten für die Vorschlagslisten für die Betriebsratswahl nicht erreicht wurde.

Der Wahlvorstand setzt hiermit gemäß § 9 Abs. 1 WO eine Nachfrist von einer Woche (Ende 29.12.2022) ab Aushang dieser Bekanntmachung.

Sollten nach Ablauf dieser Frist, keine weiteren Wahlbewerber vorschlagen werden, ist ein kleinerer Betriebsrat in der Grösse der nächstniedrigeren Staffel des § 9 BetrVG zu wählen."

Am 15. Februar 2023 erfolgte die Betriebsratswahl. Am selben Tag gab der Wahlvorstand das vorläufige (Bl. 29 dA.) und am 23. Februar 2023 das endgültige Ergebnis der Wahl (Bl. 30 dA.) per Aushang bekannt.

Die Arbeitgeberinnen haben erstinstanzlich ihre Auffassung vorgebracht, das Wahlverfahren sei mit zahlreichen Mängeln behaftet. Insbesondere habe der Wahlvorstand eine zu kurze Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlägen gesetzt.

Die Arbeitgeberinnen haben vor dem Arbeitsgericht beantragt,

die Betriebsratswahl vom 15. Februar 2023 für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat hat erstinstanzlich beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er hat vor dem Arbeitsgericht vorgebracht, das Wahlverfahren sei frei von Mängeln. Insbesondere sei die Nachfrist aus Sicht des Wahlvorstands zutreffend bemessen. Jedenfalls habe sich eine etwaig unzutreffend berechnete Nachfrist nicht auf das Wahlergebnis ausgewirkt. Es könne ausgeschlossen werden, dass weitere Vorschlagslisten eingereicht worden wären.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze, Protokolle und anderen Unterlagen verwiesen.

Mit Beschluss vom 13.06.2023, dem anwaltlichen Bevollmächtigten des Betriebsrates zugestellt am 23.06.2023, hat das Arbeitsgericht dem Antrag der Arbeitgeberinnen stattgegeben. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Wahlvorstand habe in entsprechender Anwendung des § 9 der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz (im Folgenden nur noch: WO) eine Nachfrist von einer Woche zu setzen. Es handele sich um eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens, die dem Wahlvorstand k...

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