Leitsatz (amtlich)
1.) Für die Einleitung des gerichtlichen Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG genügt es, dass Betriebsrat und Arbeitgeberin Wissen, worum es bei den Verhandlungen gehen soll. Ist der Regelungsgegenstand hinreichend bekannt, liegt es in der Hand jeder Seite frei zu entscheiden, wann sie die Errichtung einer Einigungsstelle mit gerichtlicher Hilfe für notwendig erachtet.
2.) Hält ein Betriebspartner die förmliche Aufnahme von Verhandlungen aufgrund des bisherigen Verhaltens der Gegenseite für aussichtslos und ruft das Arbeitsgericht zur Einsetzung einer Einigungsstelle an, so ist diese nicht Deswegen offensichtlich unzuständig, weil der Verhandlungsanspruch nach § 74 Abs. 1 BetrVG 1972 noch nicht erfüllt worden ist.
Normenkette
BetrVG 1972 §§ 74, 76, 111-113; ArbGG § 98
Verfahrensgang
ArbG Nienburg (Beschluss vom 29.07.1998; Aktenzeichen 1 BV 14/98) |
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrates (Bet. zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nienburg vom 29. Juli 1998 – 1 BV 14/98 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Einigungsstelle zum Abschluß eines Interessenausgleichs einzurichten ist.
Die antragstellende Arbeitgeberin (Bet. zu 1) betreibt ein Möbelhaus. Antragsgegner (Bet. zu 2) ist der in ihrer Niederlassung … gebildete Betriebsrat.
Im Februar/März 1998 gab die Arbeitgeberin dem Betriebsrat Einsicht in die ersten Planzeichnungen des in … neu zu errichtenden Baukomplexes für die im April 2000 vorgesehene Betriebsverlagerung. Mit Schreiben vom 15. Mai 1998 forderte die Arbeitgeberin den Betriebsrat zur Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich auf und nannte als Termin hierzu den 09. Juni 1998. Auf Wunsch des Betriebsrates wurde der Beginn der Verhandlungen auf den 07. Juli 1998 verschoben. Die Arbeitgeberin überreichte dem Betriebsrat am 02. Juni 1998 den Entwurf eines Interessenausgleich sowie Unterlagen über die „Reetablierung” des Möbelhauses in …. Zum näheren Inhalt der hierzu übergebenen Unterlagen wird auf Bl. 19–66 d.A. verwiesen. Unter dem 11. Juni 1998 unterrichtete der Betriebsrat in einem Flugblatt die Belegschaft über die ihm unterbreiteten Vorstellungen der Arbeitgeberin zum geplanten Umzug nach (Bl. 178 d.A.). Am 24. Juni 1998 trat der Betriebsrat schriftlich an die Arbeitgeberin heran und bat Rechtsanwalt … den Verfahrensbevollmächtigten im vorliegenden Rechtsstreit, als Sachverständigen hinzuziehen zu dürfen (Bl. 70 d.A.).
Die Arbeitgeberin stimmte diesem Anliegen mit Schreiben vom 29. Juni 1998 grundsätzlich zu, bot indessen hierfür nur ein Pauschalhonorar von höchstens 3.000,00 DM an. Mit Schreiben vom gleichen Tag überreichte der Betriebsrat der Arbeitgeberin einen mehrseitigen Fragenkatalog zur „Reetablierung …” Hinsichtlich des Inhalts dieses Fragenkatalogs wird auf Bl. 73–88 d.A. Bezug genommen. Am 07. Juli 1998 kam es zu einem kurzen etwa 10–15 minütigen Treffen des Betriebsrats mit Vertretern der Arbeitgeberin, in dem es im wesentlichen nur um die aufrechterhaltende Forderung des Betriebsrats ging, ihr Rechtsanwalt … als Sachverständigen zu 400,00 DM/Std. zur Seite zu stellen. Die Beteiligten konnten sich darauf nicht verständigen; unter ihnen ist streitig, wer den Abbruch der Verhandlungen zu verantworten hat. Hierzu unterrichtete der Betriebsrat mit Flugblättern vom 30. Juni und 07. Juli 1998 (Bl. 175–177 d.A.) die Belegschaft. Am 09. Juli 1998 überreichte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat, der Schwerbehindertenvertretung und der Jugend- und Auszubildendenvertretung in einer gemeinsamen Sitzung die Informationen in Ordnern, die sie im wesentlichen bereits am 02. Juni des Jahres dem Betriebsrat überlassen hatte. Mit Schreiben vom gleichen Tag teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, dass sie sich außerstande sehe, ihm mehr als die bisher zugeleiteten Informationen zukommen zu lassen und ihm auf den Fragenkatalog zu antworten. Mit Schriftsatz vom 20. Juli 1998, bei dem Arbeitsgericht Nienburg eingegangen am 22. Juli 1998, leitete die Arbeitgeberin das Verfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle ein.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 29. Juli 1998, auf den wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten verwiesen wird, dem Antrag der Arbeitgeberin weitgehendst entsprochen. Es hat den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht … zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle zum Abschluß eines Interessenausgleichs wegen des beabsichtigten Umzugs der Niederlassung … eingesetzt. Abweichend von den Anträgen der Arbeitgeberin (2 Beisitzer) und des Betriebsrats (4 Beisitzer) hat es die Zahl der Beisitzer jeder Seite auf drei festgesetzt. Das Arbeitsgericht hat in seiner Begründung ausgeführt, dass eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle nicht gegeben sei, denn zum einen liege eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit im Sinne von § 112 Abs. 2 BetrVG 1972 vor, zum anderen sei es für die Einsetzung der Einigungsstelle nicht Voraussetzung, dass zuvor zwischen den B...