Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhandlungsobliegenheit vor Anrufung der Einigungsstelle
Leitsatz (amtlich)
1) Die Betriebspartner entscheiden autonom darüber, ob sie es für sinnvoll erachten Verhandlungen mit der Gegenseite aufzunehmen bzw. weiterzuführen oder die Verhandlungen auf die Einigungsstelle zu delegieren.
2) Das gerichtliche Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG ist darauf angelegt bei Konflikten die Errichtung einer Einigungsstelle zu beschleunigen und jede weitere Verzögerung von Verhandlungen zu vermeiden, § 98 ArbGG überlagert insoweit den Verhandlungsanspruch aus § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG 2001.
Normenkette
ArbGG § 98; BetrVG § 74 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Lüneburg (Beschluss vom 08.06.2005; Aktenzeichen 1 BV 5/05) |
Tenor
Die Beschwerden der Arbeitgeberin (Bet. zu 2) und des Betriebsrats (Bet. zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 8. Juni 2005 – 1 BV 5/05 – werden zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand „Flexibilisierung der betriebsüblichen Arbeitszeit” einzusetzen ist. Sie sind ferner darüber uneins, ob die Einigungsstelle mit 2 oder 3 Beisitzern von jeder Seite zu versehen ist.
Das Arbeitsgericht Lüneburg hat mit Beschluss vom 8. Juni 2005 dem Antrag des Betriebsrats und Beteiligten zu 1) folgend eine Einigungsstelle zu dem oben genannten Regelungsgegenstand unter dem Vorsitz des Direktors des Arbeitsgerichts … eingerichtet und die Zahl der Beisitzer auf jeweils zwei festgesetzt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die zu regelnde Flexibilisierung der Arbeitszeit unterfalle den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG. Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle sei deshalb nicht gegeben. Soweit die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) beanstande, der Betriebsrat habe mit ihr zum Regelungsgegenstand nicht mit ernsthaftem Einigungswillen verhandelt, lasse sich dies im Bestellungsverfahren nach § 98 Abs. 1 ArbGG nicht abschließend klären. Es genüge jedoch, wenn einer der Betriebspartner im Beschlussverfahren ernsthaft behaupte, die Verhandlungen mit der Gegenseite seien gescheitert. Dafür spreche das Fehlen einer Betriebsvereinbarung zum Regelungsgegenstand, obwohl dieser bereits seit dem Jahre 2003 zwischen den Beteiligten problematisiert worden sei. Abweichend von den Vorstellungen des Betriebsrats und Beteiligten zu 1) sei die Zahl der Beisitzer auf jeweils zwei festzusetzen. Dies sei nach der Eigenart des Falles und des zu erwartenden Umfangs der Tätigkeit der Einigungsstelle angemessen. Die Besetzung mit zwei Beisitzern auf jeder Seite reiche regelmäßig aus. Es müsse bedacht werden, dass je weniger Personen an einem Einigungsstellenverfahren teilnähmen, desto wirksamer und schneller würde die Einigungsstelle arbeiten können und taugliche Betriebsergebnisse hervorbringen. Soweit der Betriebsrat vier, wenigstens aber drei Beisitzer auf jeder Seite für erforderlich halte, habe er dazu nicht genug vorgetragen. Die Vereinbarung eines Verzichts auf betriebsbedingte Kündigungen und die damit zusammenhängenden Probleme der Standortsicherung beträfen nicht den von der Einigungsstelle zu verhandelnden Regelungsgegenstand; im Übrigen sei zweifelhaft, ob insoweit dem Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zustünde. Zu den weiteren Einzelheiten der Beschlussbegründung sowie dem erstinstanzlichen Vortrag der Beteiligten wird auf den Beschluss des Arbeitsgerichts (Bl. 47 bis 51 d. A.) und den Akteninhalt Bezug genommen.
Der arbeitsgerichtliche Beschluss ist den Beteiligten jeweils am 10. Juni 2005 zugestellt (Arbeitgeberin Bl. 54; Betriebsrat Bl. 53 d. A.) worden. Dagegen haben die Arbeitgeberin am 24. Juni 2005 (Bl. 58 d. A.) Beschwerde mit Begründung und der Betriebsrat am 12. Juli 2005 (Bl. 72 d. A.) Anschlussbeschwerde mit Begründung zum Landesarbeitsgericht erhoben.
Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) hält an ihrer Rechtsauffassung fest, dass vor Einrichtung einer Einigungsstelle eine innerbetriebliche Einigung zu versuchen sei. Sie habe die Verhandlungen nicht abgelehnt und habe dem ihr vor geraumer Zeit übermittelten Entwurf einer Flexibilisierungsvereinbarung einen eigenen Entwurf gegenübergestellt, auf den der Betriebsrat sich nicht eingelassen habe. Schließlich sei man sich ausweislich eines Besprechungsprotokolls vom 4. April 2005 in den Eckpunkten einer Flexibilisierungsvereinbarung schon sehr nahe gewesen. Es gehe dem Betriebsrat in diesem Verfahren wohl vornehmlich darum, auf Kosten der Arbeitgeberin den verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt noch als Sachverständigen bestellt zu erhalten. Die Weigerung des Betriebsrats in Verhandlungen einzutreten, könne sich auch nicht daraus rechtfertigen, dass der Betriebsratsvorsitzende von ihr wegen vertragswidrigem Verhalten eine Abmahnung erhalten habe und ihm gegenüber Strafanzeige wegen wahrheitswidriger Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung gestellt wo...