Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragliche Absprachen der Arbeitsvertragsparteien bzgl. einer Abänderung durch betriebliche Normen. Geltung der einheitlichen Vertragsbedingungen im Betrieb auf Grundlage Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Betriebsvereinbarungsfeste Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei der Zahlung der Arbeitsvergütung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Arbeitsvertragsparteien können ihre vertraglichen Absprachen dahingehend gestalten, dass sie einer Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen. Das kann ausdrücklich oder bei entsprechenden Begleitumständen konkludent erfolgen und ist nicht nur bei betrieblichen Einheitsregelungen und Gesamtzusagen möglich, sondern auch bei einzelvertraglichen Abreden.
2. Mit der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen macht der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer erkennbar deutlich, dass im Betrieb einheitliche Vertragsbedingungen gelten sollen. Eine betriebsvereinbarungsfeste Gestaltung der Arbeitsbedingungen stünde dem entgegen.
3. Auf den unveränderten Fortbestand von betriebsvereinbarungsoffen ausgestalteten Leistungen kann ein Arbeitnehmer grundsätzlich nicht vertrauen. Er muss ohne Hinzutreten von besonderen Umständen mit ihrer Verschlechterung oder ihrem völligen Fortfall rechnen.
4. Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei der Zahlung der Arbeitsvergütung anwendbar, wenn diese durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben wird oder der Arbeitgeber die Leistung nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er Voraussetzungen oder Zwecke festlegt.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3; BGB § 611a; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 14.07.2022; Aktenzeichen 8 Ca 86/22) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 14. Juli 2022 - 8 Ca 86/22 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.
Der Kläger stand bis zum 31. Januar 2022 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten, zuletzt als Mitarbeiter im Oberen Management-Kreis (OMK). Seit dem 1. November 2017 befand er sich bis zu seinem Renteneintritt in bezahlter Freistellung aus der Entnahme von Zeit-Wertguthaben. Mit Schreiben vom 20. Juni 2017 (Bl. 17 bis 19 d.A.) teilte die Beklagte ihm u.a. mit:
"Während der Freistellung aus Zeit-Wertpapieren erhalten Sie in dem vom Vorstand jeweils beschlossenen Rahmen einen Bonus auf der Grundlage Ihres individuellen 100 %-Bonusniveaus nach folgenden Maßgaben: Persönlicher Leistungs- und Unternehmensbonus werden jeweils in voller Höhe gezahlt, wobei sich der Persönliche Leistungsbonus am Durchschnitt der letzten drei Jahre vor Freistellung orientiert. Der Langzeitbonus Konzern (LTI) beträgt 30 % des vollen LTI-Betrages."
Mit Schreiben aus dem Dezember 2019 (Bl. 20 bis 22 d.A.) informierte die Beklagte u.a. den OMK über die Einführung eines neuen Vergütungssystems für das Management unter Gewährung einer dreijährigen Bestandssicherung ab 2020. Danach entfiel ab dem Geschäftsjahr 2020 der Persönliche Leistungsbonus; der Jahres- und der Langzeitbonus wurden auf andere Kennzahlen gerichtet. Mit Schreiben aus dem Januar 2020 (Bl. 23 bis 25 d.A.) teilte die Beklagte mit, dass Arbeitnehmer, die sich wie der Kläger in der Freistellung aus Zeit-Werten befanden, sich dafür entscheiden könnten, im bisherigen Bonussystem zu verbleiben; dann entfalle jedoch die zum 1. Januar 2020 erfolgte Erhöhung der Bruttomonatsentgelte für die Zeit ab dem 1. April 2020. Mit Schreiben vom 20. Februar 2020 (Bl. 26 bis 28 d.A.) informierte die Beklagte den Kläger über die konkreten Folgen der Systemumstellung für ihn. Neben einer Erhöhung des monatlichen Bruttoentgeltes um 6 v.H. ab dem 1. Januar 2020 sollte das individuelle Zielniveau der variablen Vergütung unverändert bleiben, sich zukünftig jedoch hälftig aus den Zielbeträgen Jahresbonus und Langzeitbonus zusammensetzen. Die Mitteilung lautet auszugsweise:
"2. Variable Vergütung
Über die Höhe Ihrer variablen Vergütungsbestandteile entscheidet der Vorstand der Volkswagen Aktiengesellschaft nach billigem Ermessen auf Grundlage des für den jeweiligen Bemessungszeitraum geltenden Bonussystems, derzeit dem Jahresbonus sowie dem Langzeitbonus.
Die tatsächliche Höhe des Auszahlungsbetrags wird unter Berücksichtigung der Erreichung der jeweils maßgeblichen Ziele, Ihres Arbeitszeitfaktors und der weiteren in den jeweiligen Planbedingungen geregelten Ermessensgesichtspunkte, insbesondere dem Kultur- und Integritätskorrektiv (Malustatbestand), nach billigem Ermessen festgelegt.
Die Volkswagen Aktiengesellschaft behält sich die Änderung des Bonussystems insbesondere der Art der variablen Vergütung sowie der Planbedingungen vor. Die maßgeblichen Planbedingungen sowie das Bonussystem können für jeden neuen Bemessungszeitraum, nicht jedoch rückwirkend, nach billigem Ermessen ...