Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwingende Vorgaben in § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV für die Übermittlung elektronischer Dokumente an das Gericht. Heilung einer unwirksamen Dokumentenübermittlung. "Schuldhaftes Zögern" als Gegenteil von "unverzüglich" i.S.d. § 121 BGB
Leitsatz (amtlich)
Die Regelungen in § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV, wonach das elektronische Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln ist und ausnahmsweise zusätzlich im Dateiformat TIFF übermittelt werden darf (§ 2 Abs. 1 Satz 2 ERVV) sind zwingend.
Ein im Format "MSG" übermitteltes Schreiben an das Gericht ist nicht formwirksam iSv. § 46c Abs. 2 ArbGG iVm. § 2 Abs. 1 ERVV eingegangen, auch wenn diesem Schreiben die Berufungsbegründung als Anlage im Format PDF beigefügt ist.
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender gemäß § 46 Abs. 6 Satz 1 ArbGG unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.
2. "Unverzüglich" bedeutet entsprechend der Legaldefinition des § 121 BGB "ohne schuldhaftes Zögern". Ein Zögern ist schuldhaft, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist, wobei es - da hiermit keine starre Zeitvorgabe verbunden ist - auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen ankommt. Nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ist ohne das Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich keine Unverzüglichkeit mehr gegeben.
Normenkette
ArbGG § 46c Abs. 2, 6; ERVV § 2 Abs. 1; BGB § 121; ZPO § 85 Abs. 2, § 233 S. 1, § 236 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Göttingen (Entscheidung vom 19.10.2022; Aktenzeichen 4 Ca 95/22) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 19.10.2022 - 4 Ca 95/22 - wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.
2. Die Revisionsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über Vergütungsdifferenzen in Höhe von 500,00 € monatlich für den Zeitraum März 2021 bis September 2021.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.10.2022, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20.10.2022 zugestellt, die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am Montag, den 21.11.2022 eingegangene Berufung des Klägers (im PDF-Format).
Am 16.01.2023 um 14:11 Uhr hat der Klägervertreter über sein beA-Postfach beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist im Format "MSG" eine qualifiziert signierte E-Mail "Von: J. B." an die E-Mail-Adresse des Klägers "...@gmx.de" beim Landesarbeitsgericht eingereicht, wonach ein anliegendes Schriftstück - die Berufungsbegründung - übersandt wird. Die Berufungsbegründung war im PDF-Format der E-Mail beigefügt. Nach dem gerichtlichen Prüfermerk vom 16.01.2023 (Blatt 104 der Akte) wurde neben der E-Mail mit dem Dateinamen "22_00230_A._Eul.MSG" eine nicht signierte Nachricht im PDF-Format (Blatt 105 der Akte) und eine "xjustiz_nachricht.xml" übersandt. Die der E-Mail im PDF-Format beigefügte Berufungsbegründung vom 16.01.2023 - deren Übersendung sich nicht aus dem gerichtlichen Prüfvermerk ergibt - ist am Ende mit dem Namenszug des Prozessbevollmächtigten des Klägers versehen. Die Anlage ließ sich durch Anklicken für das Gericht öffnen.
Das Gericht wies mit Schreiben vom 19.01.2023, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugegangen am 20.01.2023, ua. darauf hin, dass die elektronische Einreichung der Berufungsbegründung vom 16.01.2023 nicht den Anforderungen nach § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 2 Abs. 1 ERVV genügt (Blatt 116 der Akte).
Hieraufhin hat der Klägervertreter am 03.02.2023 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt und zur Begründung angeführt, dass am Tag des Fristablaufs durch seine Rechtsanwaltsfachangestellte geprüft worden sei, ob die Berufungsbegründung ordnungsgemäß an das Landesarbeitsgericht zugestellt worden ist. Dabei sei ihr nicht aufgefallen, dass das übersandte Schreiben nicht das richtige Format gehabt habe. Grundsätzlich könne ein Schreiben, welches nicht das richtige Format habe, nicht signiert werden. Ein Fehler in der Übermittlung habe bei der Übermittlungskontrolle nicht festgestellt werden können. Er sei somit ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen. Dem Wiedereinsetzungsantrag war die Berufungsbegründung vom 16.01.2023 mit der Versicherung, dass der neu eingereichte Schriftsatz mit der ursprünglichen Berufungsbegründung übereinstimmt, beigefügt.
Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags wird auf den Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers ist unzulässig und gemäß § 66 Abs. 2 ArbGG iVm. § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen.
1.
Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG beträgt die Frist für die Einlegung der Berufung einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwe...