Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Dokumentenübermittlung mittels Word-Datei oder per Telefax. Effektiver Rechtsschutz und elektronische Datenübermittlung. Heilungsmöglichkeit eines Formmangels nach § 46c Abs. 6 ArbGG. Unverzügliche Nachreichung eines Dokuments i.S.d. § 46c Abs. 6 S. 2 ArbGG
Leitsatz (amtlich)
Ein per Telefax übermitteltes Dokument ist kein elektronisches Dokument iSd. § 46c ArbGG.
Die durch § 46g Satz 1 ArbGG nF begründete aktive Nutzungspflicht für Rechtsanwälte verstößt auch bei nicht führender elektronischer Akte nicht gegen das sich aus dem Justizgewährungsanspruch aus Art. 20 Abs. 3 GG iVm. Art. 2 Abs. 1 GG ergebende Gebot des effektiven Rechtsschutzes.
Es handelt sich bei einer Word-Datei um ein nicht formwirksam eingereichtes Dokument im Sinne von § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG nF.
Auch bei weiterhin geführter Papierakte bedarf es angesichts der niedrigschwelligen Heilungsmöglichkeit des Formmangels nach § 46c Abs. 6 ArbGG zur Garantie eines effektiven Rechtsschutzes keiner einschränkenden Auslegung des § 46c ArbGG bzw. § 2 ERVV.
Leitsatz (redaktionell)
Nach § 46c Abs. 6 Satz 1 ArbGG hat das Gericht, wenn sich ein elektronisches Dokument nicht zur Bearbeitung i.S.v. § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG eignet, dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und der geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt nach § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.
Normenkette
ArbGG §§ 66, 46g, 46c; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; ERVV § 2
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 23 Ca 9497/20) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Januar 2022 - 23 Ca 9497/20 - wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
2. Die Revisionsbeschwerde wird für die Klägerin zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten darüber, ob die - nach erstinstanzlicher Rücknahme der Klage gegenüber einer weiteren Beklagten - nunmehr alleinige Beklagte gegenüber der Klägerin zur Zahlung eines Ruhegeldes verpflichtet ist. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 75 RS - 76 RS der derzeit beim Hessischen LAG noch führenden Papierakte [im Folgenden: d.A.]) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt a.M. hat die Klage durch am 12. Januar 2022 verkündetes Urteil (22 Ca 9860/20) abgewiesen. Wegen der Einzelheiten dieser Entscheidung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 171 RS - 172 RS d.A.) Bezug genommen.
Gegen dieses der Klägerin am 21. Januar 2022 zugestellte (Bl. 176 d.A.) Urteil hat sie über ihren prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt mit einem beim Hessischen Landesarbeitsgericht am 21. Februar 2022 um 17:41 Uhr über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) als Word-Dokument eingereichten Schriftsatz (sh. Bl. 180 - 182 d.A.) und einem um 18:00 Uhr per Telefax (vorab) eingereichten Schriftsatz vom 21. Februar 2022 (sh. Bl. 184 f. d.A.) Berufung eingelegt.
Das Word-Dokument ist erst am 22. Februar 2022 ausgedruckt und zum Retent der sich noch beim Arbeitsgericht befindenden Akte genommen worden, weshalb sich auf dem ausgedruckten Dokument - aufgrund der automatischen Datumsanpassung bei Öffnung der Datei - das Datum „22. Januar 2022“ befindet. Am 22. Februar 2022 ist auch das per Telefax eingegangene Dokument ausgedruckt und zum Retent genommen worden. Die Erstverfügung durch den Leiter der Geschäftsstelle, dem diese Befugnis von der Gerichtsleitung übertragen worden war, ist ebenfalls am 22. Februar 2022 erfolgt (sh. Bl. 190 d.A.).
Am 23. Februar 2022 ist die Berufungsschrift beim Hessischen Landesarbeitsgericht im „Original“ (in Papierform) eingegangen. (sh. Bl. 187 f. d.A.)
Mit elektronisch verfügtem Beschluss vom 24. Februar 2022 hat der Vorsitzende, der ganz überwiegend mit der elektronischen Akte arbeitet, die Klägerin (ohne Vorlage der Papierakte) ua. darauf hingewiesen, dass die per Telefax und per beA eingereichten Dokumente nicht den gesetzlichen Formanforderungen genügen (zu den Einzelheiten sh. Bl. 195 - 195 RS d.A.). Dieser Hinweisbeschluss ist dem Klägervertreter noch am 24. Februar 2022 zugestellt worden (sh. eEB Bl. 196 d.A.).
Am 6. März 2022 hat der Klägervertreter erneut die Berufungsschrift mit dem Datum 21. Februar 2022 per beA als Word-Dokument beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingereicht (Ausdruck Bl. 207 - 210 d.A.)
Mit elektronisch verfügtem Beschluss vom 7. März 2022 (sh. Bl. 211 d.A.) hat der Vorsitzende zur Gewährung rechtlichen Gehörs die Parteien darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung durch Beschluss des Vorsitzenden als unzu...