Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die elektronisch eingereichte Berufungsbegründung. Heilung eines Formverstoßes im elektronischen Rechtsverkehr. Unverzügliche Nachreichung der Berufungsbegründungsschrift

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Berufungsbegründung kann als elektronisches Dokument eingereicht werden, wenn es in druckbarer, kopierbarer und durchsuchbarer Fassung im Dateiformat PDF übermittelt wird.

2. Wird ein Dokument unter Verstoß gegen § 46c Abs. 2 ArbGG bei Gericht eingereicht, steht die Heilung des Formverstoßes nach § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG offen. Es gelten dann die Regelungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 233 ff. ZPO.

3. Unverzüglich bedeutet im Rahmen des § 46c Abs. 6 ArbGG "ohne schuldhaftes Zögern". Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist. Es kommt dabei auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an. Erfolgt die Nachreichung erst drei Wochen nach dem richterlichen Hinweis, ist dies nicht mehr "unverzüglich".

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; ArbGG § 46c; ERVV § 2 Abs. 1; ZPO § 130a Abs. 6, § 233

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 11 Ca 162/21)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 01.08.2022; Aktenzeichen 2 AZB 6/22)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 27. Oktober 2021 - 11 Ca 162/21 - wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

2. Die Revisionsbeschwerde wird für den Kläger zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung sowie (hilfsweise) um die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses und die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 255 - 263 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Klage durch am 27. Oktober 2021 verkündetes Urteil (11 Ca 162/21) abgewiesen. Wegen der Einzelheiten dieser Entscheidung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 263 RS - 266 RS d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses dem Kläger am 16. November 2021 zugestellte (Bl. 278 d.A.) Urteil hat er am 22. November 2021 (einem Montag) über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) seines Prozessbevollmächtigten beim Hessischen Landesarbeitsgericht als PDF-Datei Berufung (sh. Ausdruck der Berufungsschrift Bl. 280 - 282 d.A.) eingelegt. Dieses elektronische Dokument ist weder durchsuchbar noch kopierbar. Zudem sind keine der Schriftarten in diesem elektronischen Dokument „eingebettet“.

Dies hat der Kammervorsitzende am 19. Januar 2022 festgestellt (die Erstbearbeitung der Sache durch den Vorsitzenden erfolgte am 15. Januar 2022 im Zuge der Entscheidung über die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf der Basis der Papierakte) und die Parteien mit Hinweisbeschluss vom selben Tag (sh. Bl. 291 - 293 d.A.), der dem Kläger auch noch am selben Tag zugestellt worden ist (sh. Bl. 294 d.A.), ua. darauf hingewiesen, dass die Berufung im falschen Dateiformat eingegangen sei, dieser Mangel aber nach § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO bzw. nach dem seit dem 12. Oktober 2021 auch für das LAG anwendbaren § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG rückwirkend geheilt werden könne. Ergänzend hat der Vorsitzende auch auf einschlägige Rechtsprechung sowie den Beitrag von Schindler (NJW 2020, 2943 ff.), der praktische Probleme mit den technischen Vorgaben im elektronischen Rechtsverkehr behandelt, hingewiesen.

Am 21. Januar 2022 hat der Kläger über das beA seines Prozessbevollmächtigten die Berufungsschrift als PDF-Datei in einem durchsuch- und kopierbaren Format und mit „eingebetteten“ Schriftarten nochmals eingereicht (sh. Ausdruck Bl. 295 - 297 d.A.).

Mit Schreiben vom 26. Januar 2022 (Bl. 298 d.A) hat der Vorsitzende den Kläger darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig durch Beschluss zu verwerfen. Dieses Schreiben ist dem Kläger am 2. Februar 2022 zugestellt worden (Bl. 299 d.A.).

Am 16. Februar 2022 hat der Kläger - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf rechtzeitigen Antrag hin (Bl. 289 d.A.) bis zum 16. Februar 2022 (Bl. 290 d.A) - ebenfalls als PDF-Datei über das beA seine Berufung begründet (sh. Ausdruck der Berufungsbegründungsschrift Bl. 306 - 313 d.A.).

Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2022 (Bl. 301 d.A) hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufung noch einmal in einem durchsuch- und kopierbaren Format und mit „eingebetteten“ Schriftarten nochmals eingereicht (sh. Ausdruck Bl. 302 f. d.A.) und „anwaltlich und gemäß § 156 StGB eidesstattlich versichert, dass der nunmehr eingereichte Schriftsatz mit dem zuvor eingereichten Schriftsatz identisch ist“.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend Bezug genommen auf den gesamten Akteninhalt.

II.

I. Die Berufung des Klägers ist unzulässig. Sie ist - nachdem dem Kläger rechtliches Gehör ge...

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