Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelungsabrede zur Eingruppierung und Vergütung der gewerblichen Beschäftigten. Unbegründeter Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats bei mitbestimmungswidriger Abweichung von der vereinbarten Vergütungsstruktur
Leitsatz (redaktionell)
1. Weicht die Arbeitgeberin ohne Zustimmung des Betriebsrats von einer zwischen den Beteiligten vereinbarten Vergütungsstruktur ab, verstößt dies gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG und berechtigt den Betriebsrats zur Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG.
2. Regelungsabreden sind schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen den Betriebspartnern ohne normative Wirkung; eine mit dem Betriebsrat getroffene Regelungsabrede führt die Arbeitgeberin gemäß § 77 Abs. 1 BetrVG aus.
3. Der Betriebsrat kann seine Zustimmung zu einer mitbestimmungspflichtigen Maßnahme nach § 87 BetrVG auch stillschweigend durch formlose Regelungsabrede erteilen; insoweit gelten für Regelungsabreden die gleichen Grundsätze wie für das Zustandekommen anderer schuldrechtlicher Vereinbarungen.
4. Voraussetzung für das Zustandekommen einer Regelungsabrede ist zumindest eine auf Zustimmung zu der Maßnahme gerichtete Beschlussfassung des Betriebsrates und deren Verlautbarung gegenüber der Arbeitgeberin.
5. Dass die Zustimmung zur Anwendung eines Kriterienkataloges nicht unter der aufschiebenden Bedingung des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung steht, wird durch die nachfolgende mehrjährige einvernehmliche Anwendung dieses Kriterienkatalogs als Grundlage für die Eingruppierung und die Vergütung der gewerblichen Mitarbeiter bestätigt.
6. Will die Arbeitgeberin von der nunmehr für den Betrieb im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 10 in Form des Kriterienkatalogs vereinbarten Vergütungsstruktur abweichen, hat sie mit dem Betriebsrats eine Einigung herbeiführen oder über eine Einigungsstelle nach § 87 Abs. 2 BetrVG zu erzwingen; fehlt es daran, führt die Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zur Unwirksamkeit der neuen Vergütungsordnung.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2, § 99 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 24.06.2016; Aktenzeichen 1 BV 13/15) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) und unter Zurückweisung der Anschlussbeschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 24. Juni 2016 - 1 BV 13/15 - teilweise abgeändert:
Der Antrag der Beteiligten zu 1) auf Ersetzung der Zustimmung zur Eingruppierung der Mitarbeiter Andreas D. und Christian C. in die Lohngruppe 6 und des Mitarbeiters Tim-Christoph Ca. in die Lohngruppe 7 des Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrags für die Beschäftigten in der niedersächsischen Metallindustrie vom 17. Oktober 1994 in der Fassung vom 5. Dezember 1996 wird zurückgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beteiligte zu 1) verpflichtet ist, den Beteiligten zu 2) gegenüber der Rechtsanwaltskanzlei A. und N., D-Straße, D-Stadt von den Rechtsanwaltskosten für das Beschwerdeverfahren freizustellen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Zustimmungsersetzung des Beteiligten zu 2) zur Eingruppierung von 3 gewerblichen Arbeitnehmern; in diesem Zusammenhang streitig ist zwischen den Beteiligten die Eingruppierung weiterer 120 gewerblicher Mitarbeiter.
Die nicht tarifgebundene Beteiligte zu 1) stellt mit ca. 1350 Mitarbeitern Edelstahlrohre und Komponenten her, der Beteiligte zu 2) ist der bei der Antragstellerin gebildete 15-köpfige Betriebsrat.
Mit Wirkung zum 01. Januar 1997 (Bl. 751 ff d. A.) vereinbarten die Beteiligten durch Betriebsvereinbarung eine Arbeitsordnung. In der Präambel heißt es:
"Der Betrieb ist nicht tarifgebunden. Betriebsvereinbarungen wurden und werden im Einvernehmen zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat ohne Hinzuziehung von Verbandsvertretern beschlossen. Richtschnur für die Höhe der Arbeitsvergütungen ist der jeweils gültige Tarifvertrag für die Niedersächsische Metallindustrie, der durch Aushang bekanntgegeben wird. Sofern an anderer Stelle der Arbeitsordnung auf Tarifverträge Bezug genommen wird, gilt ebenfalls die aktuelle, durch Aushang bekanntgegebene Version."
Ziffer 5.1 (Grundvergütung und Belastungszulagen) regelt:
"Die Einstufung der gewerblichen Arbeitnehmer erfolgt auf Grundlage des Tarifvertrages der Niedersächsischen Metallindustrie."
Ziffer 17 (Schlussbestimmung) regelt:
"Diese Arbeitsordnung tritt am 01.01.1997 in Kraft. Sie kann nur in ihrem gesamten Umfang mit einer 3-monatigen jeweils zum Quartalsende schriftlich gekündigt werden. Nach Ablauf der Frist gelten die Bestimmungen dieser Arbeitsordnung weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.
Änderungen in Einzelpunkten bedürfen einer zusätzlichen Betriebsvereinbarung.
Sollte ein Teil dieser Arbeitsordnung nichtig und/oder rechtsunwirksam sein oder werden, so gilt das als vereinbart, ...