Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelungsabrede bei einvernehmlicher Anwendung einer anderen Vergütungsstruktur nach Kündigung einer Betriebsvereinbarung in tarifgebundenem Unternehmen. Unbegründeter Antrag auf Zustimmungsersetzung zur Eingruppierung bei rechtswidriger Abweichung von vereinbarter Vergütungsstruktur
Leitsatz (amtlich)
1. Wenden die Betriebsparteien in einem tarifungebundenen Unternehmen nach Kündigung einer Betriebsvereinbarung iSv § 87 I Nr. 10 BetrVG im Betrieb einvernehmlich eine andere Vergütungsstruktur an, ohne schriftlich eine abändernde Betriebsvereinbarung zu vereinbaren, so kann darin eine Regelungsabrede liegen, die an die Stelle der gekündigten Betriebsvereinbarung getreten ist. Unerheblich ist, dass eine Regelungsabrede regelmäßig die Nachwirkung einer gekündigten Betriebsvereinbarung nicht beendet.
2. Will der Arbeitgeber sich von dieser Regelungsabrede lösen und zur älteren Vergütungsstruktur zurückkehren, bedarf es nach § 87 I Nr. 10 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrates.
3. Der Betriebsrat kann zu einer Eingruppierung nach § 99 II Nr. 1 BetrVG die Zustimmung verweigern, wenn der Arbeitgeber unter Verstoß gegen § 87 I Nr. 10 BetrVG eine als Regelungsabrede vereinbarte Vergütungsstruktur nicht mehr anwendet.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10, § 99 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 24.06.2016; Aktenzeichen 1 BV 13/15) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) und unter Zurückweisung der Anschlussbeschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 24. Juni 2016 - 1 BV 13/15 - teilweise abgeändert:
Der Antrag der Beteiligten zu 1) auf Ersetzung der Zustimmung zur Eingruppierung der Mitarbeiter Andreas D. und Christian C. in die Lohngruppe 6 und des Mitarbeiters Tim-Christoph Ca. in die Lohngruppe 7 des Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrags für die Beschäftigten in der niedersächsischen Metallindustrie vom 17. Oktober 1994 in der Fassung vom 5. Dezember 1996 wird zurückgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beteiligte zu 1) verpflichtet ist, den Beteiligten zu 2) gegenüber der Rechtsanwaltskanzlei A. und N., D-Straße, D-Stadt von den Rechtsanwaltskosten für das Beschwerdeverfahren freizustellen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Zustimmungsersetzung des Beteiligten zu 2) zur Eingruppierung von 3 gewerblichen Arbeitnehmern; in diesem Zusammenhang streitig ist zwischen den Beteiligten die Eingruppierung weiterer 120 gewerblicher Mitarbeiter.
Die nicht tarifgebundene Beteiligte zu 1) stellt mit ca. 1350 Mitarbeitern Edelstahlrohre und Komponenten her, der Beteiligte zu 2) ist der bei der Antragstellerin gebildete 15-köpfige Betriebsrat.
Mit Wirkung zum 01. Januar 1997 (Bl. 751 ff d. A.) vereinbarten die Beteiligten durch Betriebsvereinbarung eine Arbeitsordnung. In der Präambel heißt es:
"Der Betrieb ist nicht tarifgebunden. Betriebsvereinbarungen wurden und werden im Einvernehmen zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat ohne Hinzuziehung von Verbandsvertretern beschlossen. Richtschnur für die Höhe der Arbeitsvergütungen ist der jeweils gültige Tarifvertrag für die Niedersächsische Metallindustrie, der durch Aushang bekanntgegeben wird. Sofern an anderer Stelle der Arbeitsordnung auf Tarifverträge Bezug genommen wird, gilt ebenfalls die aktuelle, durch Aushang bekanntgegebene Version."
Ziffer 5.1 (Grundvergütung und Belastungszulagen) regelt:
"Die Einstufung der gewerblichen Arbeitnehmer erfolgt auf Grundlage des Tarifvertrages der Niedersächsischen Metallindustrie."
Ziffer 17 (Schlussbestimmung) regelt:
"Diese Arbeitsordnung tritt am 01.01.1997 in Kraft. Sie kann nur in ihrem gesamten Umfang mit einer 3-monatigen jeweils zum Quartalsende schriftlich gekündigt werden.
Nach Ablauf der Frist gelten die Bestimmungen dieser Arbeitsordnung weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.
Änderungen in Einzelpunkten bedürfen einer zusätzlichen Betriebsvereinbarung.
Sollte ein Teil dieser Arbeitsordnung nichtig und/oder rechtsunwirksam sein oder werden, so gilt das als vereinbart, welches dem, was die Vertragschließenden vereinbaren wollten, in rechtsgültiger oder rechtswirksamer Weise am nächsten kommt."
Die Beteiligte zu 1) hat die Arbeitsordnung zum 30. September 2009 gekündigt. Eine neue Arbeitsordnung ist nicht vereinbart worden.
Der für die niedersächsische Fläche (neben dem Entgeltrahmentarif für die Beschäftigten in der Niedersächsischen Metallindustrie) bestehende ungekündigte Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrag für die Beschäftigten in der Niedersächsischen Metallindustrie vom 17. Oktober 1994 in der Fassung vom 5. Dezember 1996 (LG-RTV) sieht für die gewerblichen Arbeitnehmer 10 Lohngruppen vor, danach gruppierte die Beteiligte zu 1) jahrelang ein. Nach Inkrafttreten des Entgeltrahmentarifvertrages verhandelten die Betriebsparteien erfolglos über dessen Übernahme, über das Scheitern der Einführung von ERA informierte die Beteiligte zu 1) durch Aushang im O...