Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats oder der örtlichen Betriebsräte bei konzernweiter Einführung eines SAP-Systems. Anfechtung. Einigungsstelle
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats bei Einführung eines SAP-Systems für alle Unternehmen des Konzerns kann sich über eine rechtliche oder technische Notwendigkeit zu einer betriebsübergreifenden Regelung ergeben.
2. Die Zweckmäßigkeit eines konzernweiten Einsatzes des SAP-Systems führt nicht zur originären Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats, wenn es technisch möglich ist das SAP-System auf die Belange des einzelnen Konzernunternehmens anzupassen und der zusätzliche Aufwand finanzieller und personeller Art vom Konzern übernommen wird. Es verbleibt dann bei der Zuständigkeit der örtlichen Betriebsräte Regelungen zu § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu treffen.
3. Die Entscheidung, ob und in welcher Form ein EDV-System betriebs- oder konzernweit bezogen, eingeführt wird, gehört schon aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 14 GG) in der Hand der Arbeitgeberin.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6, §§ 58, 76 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Beschluss vom 20.05.2009; Aktenzeichen 5 BV 1/09) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 20. Mai 2009 – 5 BV 1/09 – abgeändert. Die Anträge des Konzernbetriebsrats und Beteiligten zu 1) werden insgesamt abgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beschluss der Einigungsstelle über die Unzuständigkeit des Konzernbetriebsrats für die Nutzung des EDV-Systems mySAP HR ERP 2004 vom 15. Dezember 2008 in der Fassung des Beschlusses vom 25. Februar 2010 unwirksam ist. Die Beteiligte zu 2) hält Mehrheitsbeteiligungen an ca. 40 Unternehmen (vgl. Übersicht Bl. 12/13 d. A.). Antragsteller ist der bei der Beteiligten zu 2) gebildete Konzernbetriebsrat.
Hintergrund des Rechtsstreits der Beteiligten ist die Frage, ob bei der konzernweiten Nutzung des seit dem Jahr 2000 eingeführten Datenverarbeitungssystems SAP HR in der Version mySAP ERP 2004 mitbestimmungsrechtlich der Betriebsrat der Verlagsgesellschaft bzw. die örtlichen Betriebsräte der Verlagsgruppe A. (im Folgenden: A.) oder insgesamt der Konzernbetriebsrat zu beteiligen sind. Nachdem sich die Beteiligten hierzu nicht einigen konnten, wurde nach Einleitung zweier Einigungsstellenbesetzungsverfahren beim Arbeitsgericht Hannover (5 BV 11/08 und 4 BV 11/08) unter dem 29. April 2008 ein Vergleich geschlossen, wonach jeweils Einigungsstellen auf Konzernbetriebsrats- und Betriebsratsebene mit dem Thema „Nutzung des EDV-Systems mySAP HR ERP 2004” zeitgleich und personenidentisch tagen sollten. Am 15. Dezember 2008 gab die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) folgende Protokollerklärung ab: „Sofern eine Nutzung von SAP HR bei den einzelnen Konzerngesellschaften der Verlagsgruppe A. stattfindet bzw. stattfinden soll, wird die Arbeitgeberseite das System – soweit erforderlich – hinsichtlich des Mandantenmodells und/oder der Nutzungsberechtigungen und/oder individueller Auswertungen aller Art so anpassen, wie das für die geforderten betriebsbezogenen Anwendungen notwendig ist (Bl. 29 d. A.)”.
Mit Beschluss vom 15. Dezember 2008 erklärte sich die Einigungsstelle des antragstellenden Konzernbetriebsrats und der Arbeitgeberin zum Thema „Nutzung des EDV-Systems mySAP HR ERP 2004” für unzuständig. Zum Inhalt der Begründung des Einigungsstellenspruchs wird auf Bl. 34 – 46 d. A. verwiesen. Gegen den ihm am 5. Januar 2009 zugestellten Spruch der Einigungsstelle hat der Konzernbetriebsrat und Beteiligte zu 1) am 16. Januar 2009 beim Arbeitsgericht den Antrag auf Feststellung erhoben, dass die Entscheidung der Einigungsstelle unwirksam sei.
Diesem Antrag hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein Mitbestimmungsrecht für die Betriebsratsseite nach § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG gegeben sei. Ein Ermessen der Einigungsstelle bei seiner Entscheidung sei hier nicht gegeben, da es um eine gesetzlich zwingende Zuständigkeitsverteilung gehe. Abweichend von der Entscheidung der Einigungsstelle sei hier der Konzernbetriebsrat nach § 58 BetrVG zuständig, da es sich bei der Nutzung des SAP-Systems um eine Regelungsmaterie handele, die nicht nur aus Zweckmäßigkeitsgründen sondern aufgrund zwingender Erforderlichkeit konzerneinheitlich zu regeln sei. Dafür spreche bereits die Weiterleitung von den in einem Konzernunternehmen erfassten Mitarbeiterdaten an anderen Konzernunternehmen oder an die Konzernspitze. Darin liege ein Vorgang, der nur einheitlich geregelt werden könne. Die Tatsache, dass die Daten – zumindest überwiegend – nicht in den einzelnen Konzernunternehmen direkt in das mySAP HR System eingegeben würden, sei nicht maßgeblich, da das Mitbestimmungsrecht auch dann ausgelöst würde, wenn die leistungs- oder verhaltensbezogenen Daten nicht auf technischem Wege durch die Einrichtung selbs...