Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Betriebsratswahl bei Stimmabgabevermerken eines auch als Wahlbewerber antretenden Mitgliedes des Wahlvorstandes
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Mitglied des Wahlvorstandes, das zugleich Wahlbewerber ist, verletzt wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren, wenn es sich während der laufenden Betriebsratswahl von Wahlhelfern aus der mit Stimmabgabevermerken versehenen Wählerliste die Namen von noch nicht zur Wahl erschienenen Wahlberechtigten geben lässt, diese in der auf seinem Dienst Laptop hinterlegten Liste der Wahlberechtigten kennzeichnet und anschließend nur solche Personen auf die (Nicht)Ausübung ihres Wahlrechts anspricht.
2. Kann aufgrund der Anzahl der erfassten Namen bzw. der nach dem Verstoß noch zur Wahl erschienenen Personen oder aufgrund sonstiger Umstände nicht ausgeschlossen werden, dass das Wahlergebnis beeinflusst worden ist, kann die Betriebsratswahl wirksam angefochten werden.
Normenkette
BetrVG § 19; BetrVGDV1WO § 12 Abs. 3, § 19; GG Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; BetrVG § 14 Abs. 1, § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1-2; WahlO BetrVG § 12 Abs. 3; WahlO BetrVG § 19
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 30.01.2015; Aktenzeichen 6 BV 6/14) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsteller zu 1 - 3 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts C-Stadt vom 31.01.2015 (6 BV 6/14) abgeändert:
Die am 13. und 14.05.2014 bei der Beteiligten zu 5 am Standort C-Stadt durchgeführte Betriebsratswahl wird für unwirksam erklärt.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Die Antragsteller zu 1) - 3) sind wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 5). Der Beteiligte zu 4) ist der bei der Beteiligten zu 5) am Standort C-Stadt gebildete Betriebsrat.
Am Standort C-Stadt der Beteiligten zu 5) wurde am 13. und 14. Mai 2014 ein 15-köpfiger Betriebsrat gewählt. Für die 1.083 wahlberechtigten Arbeitnehmer standen vier Listen zur Wahl. Jeder wahlberechtigte Arbeitnehmer hatte eine Stimme.
Der für diese Wahl gebildete Wahlvorstand bestand aus fünf Mitgliedern. Zu diesen zählten der Antragsteller zu 1), Spitzenkandidat der Liste 3, und Herr M., der Vorsitzende des bisherigen und im Zuge der Wahl gebildeten neuen Betriebsrates sowie Spitzenkandidat der Liste 2.
Herr M. erschien an beiden Wahltagen - am 14.05.2014 ab dem späten Vormittag - mit seinem Dienst-Laptop im Wahlraum. Er ließ sich am 14.05.2014 ab etwa 13.00 - 13.30 von Wahlhelfern die Namen von Mitarbeitern aus der mit den Stimmabgabevermerken versehenen Wählerliste geben. Er vermerkte in der ihm von der Beteiligten zu 5) zur Verfügung gestellten und auf dem Laptop hinterlegten Wählerliste, wer noch nicht zur Wahl erschienen war. Anschließend versandte er E-Mails an zumindest 27 Mitarbeiter, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewählt hatten. Wegen der Namen dieser Mitarbeiter wird auf den Schriftsatz des Beteiligten zu 4) vom 18.07.2014 (Bl. 50, 51 d.A.) verwiesen.
Die im Anhörungstermin des Beschwerdeverfahrens zur Akte gereichte E-Mail vom 14.05.2014 (Bl.d.A.) hat folgenden Inhalt:
Von:
Juergen01 M./te1/te/cag
An:
Datum: 14.05.2014 15:22
Betreff: Wahlbeteiligung BR-Wahl Vinnhorst - HEUE -
Der Wahlvorstand bittet alle Wahlberechtigten zur BR-Wahl im Studio Empfang bis heute 18 Uhr, soweit sie noch nicht an der Wahl teilgenommen haben. Wahlberechtigt sind grundsätzlich alle Beschäftigten und Leiharbeitnehmer sowie Zeitarbeitskräfte. Im Zweifel bitte im Wahllokal an den Wahlvorstand wenden!!!
DANKE
Mit freundlichen Grüßen
Wahlvorstand
Von den angeschriebenen 27 Mitarbeitern machten bis zur Schließung des Wahllokals insgesamt fünf von ihrem Wahlrecht Gebrauch.
Wegen des Ergebnisses der Wahl wird auf die Wahlniederschrift vom 14.05.2014 (Bl. 11, 12 d.A.) verwiesen. Von den insgesamt 809 ausgegebenen Wahlumschlägen befanden sich 808 Wahlumschläge in der Wahlurne. Die nicht abgegebene Stimme wurde zu den ungültigen Stimmen gezählt.
Mit ihrem am 28. Mai 2014 bei Gericht eingegangenen Antrag haben die Antragsteller die Wahl angefochten.
Die Antragsteller haben behauptet, Herr M. habe sich die Namen der Mitarbeiter geben lassen, um sich einen Überblick zu verschaffen, wer von den zu erwartenden Unterstützern seiner Liste noch nicht zur Wahl gekommen sei. Er habe in beträchtlicher Anzahl nicht nur E-Mails sondern auch SMS an Mitarbeiter versendet, die noch nicht gewählt hätten, und diese aufgefordert, zur Wahl zu erscheinen. Er habe auch SMS an die Vorgesetzen derartiger Mitarbeiter geschickt, verbunden mit der Aufforderung, diese Mitarbeiter nunmehr zum Wahlraum zu schicken. Er habe jedenfalls erheblich mehr SMS und E-Mails versendet bzw. direkt oder über die Vorgesetzen deutlich mehr als 27 Personen angesprochen, die noch nicht gewählt hatten, und bei denen er sich eine Unterstützung seiner Liste erhofft habe. Sie, die Antragsteller seien überzeugt, dass erheblich mehr Personen gezielt angesprochen worden seien aufgrund der Tatsache, dass ihre Stimmabgabe noch nicht im Wählerver...